Gewaltkriminalität ist für Island kein drängendes Problem, Mord und Totschlag kommen real äußerst selten vor. Gleichwohl gibt es hier vermutlich pro Kopf mehr Krimiautoren als in jedem anderen Land der Welt. Seit einem Jahrzehnt erfreut sich der Island-Krimi nicht nur auf der Insel selbst und in Skandinavien, sondern ebenso in Deutschland wachsender Beliebtheit.

Auch wenn deutsche Leser Autorennamen wie Arnaldur Indriðason, Yrsa Sigurðardóttir, Þráinn Bertelsson, Viktor Arnar Ingólfsson, Árni Thórarinsson oder Ævar Örn Jósepsson kaum unfallfrei aussprechen können, greifen sie gern nach Krimis mit Titeln wie "Kältezone", "Frostnacht", "Todeshauch", "Blutberg", "Höllenengel", "Die eisblaue Spur", "Das glühende Grab" oder "Todesgott".

Diese Krimis sind zwar oft spannend erzählt, aber es geht in den Geschichten nicht nur um Verbrechen, sondern vor allem um die Innenansicht eines kleinen Landes, um die Mentalität seiner Bewohner, die sozialen Konflikte, die vielen Mythen und um das alltägliche Überleben unter manchmal äußerst unwirtlichen Bedingungen.

"Als Kommissar Erlendur das Haus verließ, hatte der Regen zugenommen", so könnte ein typischer Satz aus den Romanen von Arnaldur Indriðason lauten, dem erfolgreichsten Autor des Landes. Indriðason hat als Journalist für Islands größte Tageszeitung gearbeitet, bevor er Schriftsteller wurde. Viele seiner Kollegen, die fast alle in den 1960er-Jahren geboren wurden, schreiben jedoch neben ihren eigentlichen Berufen. Typisch ist eine gewisse Melancholie, die sich auch in den Charakteren widerspiegelt. Ein große Rolle spielt die Unberechenbarkeit der Natur, etwa in Ævar Örn Jósepssons "Blutberg" oder in dem Roman "Das glühende Grab" von Yrsa Sigurðardóttir, der vor dem Hintergrund eines Vulkanausbruchs spielt, der 1972 ein ganzes Dorf unter sich begraben hat.

Manchmal bezieht sich die Handlung aber auch auf die Kultur und Geschichte Islands, besonders hintersinnig etwa in Indriðasons "Todesrosen". Über fast 300 Seiten versuchen Kommissar Erlendur und seine Kollegen von der Kripo Reykjavík herauszufinden, warum die Leiche eines jungen Mädchens ausgerechnet auf dem Grab des isländischen Freiheitskämpfers Jón Sigurðsson abgelegt wurde. Als sie den Mörder schließlich haben, stellt sich dann aber heraus, dass dieser keine Ahnung davon hatte, auf welch einem prominenten Grab sein Opfer lag.

Überraschende Wendungen sind für den Island-Krimi ebenso typisch wie das anhaltend schlechte Wetter, unter dem Täter, Opfer und Ermittler gleichermaßen leiden.