Heute Abend wird in Frankfurt der Deutsche Buchpreis vergeben. Wie immer feiert sich der Literaturbetrieb dabei vor allem selbst.

Hamburg. Das ist das Problem mit den Büchern und den Menschen, die sie schreiben: ernsthaft parlierende Schriftsteller mit bisweilen strengem Blick hier, Buchstabenballungen dort. Aber nirgends Glamour. Wo die Filmbranche rote Teppiche, Show, Extravaganzen aller Art und eine perfekte Bedienung der Oberfläche zu bieten hat, finden wir bei der Literatur nichts von alldem. Die Branche feiert sich alljährlich auf der Frühjahrsmesse in Leipzig (dort eher gemütlich) und der Herbstmesse in Frankfurt (dort auch mal heftiger), und wie in Hollywood wird auch einmal im Jahr ein richtig großer Preis vergeben: Der Deutsche Buchpreis ist wie der Oscar, er belohnt die Bestleistungen der schreibenden Zunft.

Und weil die Kunstform Buch nur auf den einen Urheber, das im besten Falle schreibende Genie zugeschnitten ist, verteilt die Branche nur eine Auszeichnung und nicht etwa 30 Oscars. Viel mehr als das Filmgewerbe braucht der Literaturbetrieb das Marketinginstrument der Preisvergabe, um einzelne Titel zu exponieren. Langer Rede kurzer Sinn: Der Buchpreis, der heute am Vorabend der Buchmesse im Frankfurter Römer übergeben wird, wird ziemlich wichtig genommen. Von allen Beteiligten. Von der Jury, sie besteht vorwiegend aus Literaturkritikern, aber auch Schriftstellern, Feuilleton, Verlagen und den Autoren selbst.

Der Sieger bekommt ein Preisgeld in Höhe von 25 000 Euro, jeder der anderen fünf Finalisten darf sich mit 2500 Euro trösten. Höher wiegt noch die Steigerung der Auflage, die mit Buchpreis-Ehren verbunden ist: Julia Francks Siegerroman von 2007, "Die Mittagsfrau", verkaufte sich bis heute über 900 000-mal.

Es wird Lärm gemacht um das Prozedere. Schlecht ist das nicht, ist ja sonst nie viel los im Buchbetrieb - jedenfalls nichts, was über die Szene hinausstrahlt. "Longlist" und "Shortlist": Das Verfahren soll transparent sein und nebenbei für verkaufsfördernde Buchetikette sorgen; was der Betrieb darüber hinaus ventiliert, ist ein meinungsstarkes Raunen, mal spöttisch, mal zustimmend, mal lästernd.

Müdes Abwinken und der Verdacht des Proporzdenkens - die allfällige Kritik an den Jury-Entscheidungen ist billig zu haben: Große und kleine Verlage müssen genauso vertreten sein wie Männer und Frauen, natürlich dürfen nicht nur Deutsche nominiert sein, sondern auch Österreicher und Schweizer. Übrigens schweigen sich die sieben Jurymitglieder stets aus, so gut es geht.

Was am Ende dabei herauskommt, sind schöne Tresengespräche in Literaturhäusern und sonstigen bibliophilen Orten: "Hast du schon gehört, der und die in der Jury sind sich spinnefeind ..." - "... ja, und beim Westdeutschen Rundfunk habe ich gerade gehört, dass der Kollege aus Hessen genau weiß, dass der Autor X auf keinen Fall durchsetzbar ist, der Autor Y aber auch nicht; da stehen sich zwei Fronten frontal gegenüber, jetzt suchen sie einen Ausweichkandidaten, auf den sich alle einigen können ...". Herrlich!

Und am Ende gilt sowieso: Nichts Genaues weiß man nicht. Wenn am Ende nicht nur die Literaturbetriebler selbst, sondern auch das zahlende Publikum über den Buchpreis und die von den Kritikern nobilitierte Bestenschau spricht, dann hat die ganze Angelegenheit eine zweite (neben der schnöden pekuniären) und entscheidende Funktion: Sie bringt das Gespräch über Literatur in Gang.

Schließlich bietet die jeweilige Buchpreis-Konkurrenz einen Rundgang durch die deutschsprachige Literatur. Von was erzählt sie? Im Falle des 1974 in Leer geborenen Debütanten Jan Brandt vom Aufwachsen in der Provinz. Brandts 900-Seiten-Epos "Gegen die Welt" ist absolut herausragend, die groß angelegte Geschichte eines jugendlichen Außenseiters, der den bösen Mächten in der miefigen Provinz nichts als seine Gutgläubigkeit entgegensetzen kann. Was zu wenig ist. Brandts mäanderndes Riesenwerk steuert direkt auf die Apokalypse zu. Die Handlungsstränge strecken und recken sich, das auftretende Personal wuchert mit seinen Lebensgeschichten: Als Leser verliert man sich gerne in dieser üppig komponierten Geschichte eines Scheiterns, weil sie nie langweilig ist.

Das gilt auch für Eugen Ruges kommunistische Familien-Saga "In Zeiten des abnehmenden Lichts". Neben Brandt ist es Ruges Vier-Generationen-Stück, auf das sich die meisten Kritiker einigen können. Das liegt auch an der Tatsache, dass in Ruges Debütroman Geschichte anschaulich wird - in der persönlichen Geschichte der Protagonisten, so wenig Allgemeingültigkeit die Charaktere auch beanspruchen können. Im Wettbewerb befindet sich ein zweiter Roman, der in der DDR spielt: Angelika Klüssendorfs "Das Mädchen" gilt als Geheimfavorit und ist ein makelloses Stück Prosa, das man nicht so schnell aus der Hand legt. Erzählt wird die katastrophale Geschichte einer namenlos bleibenden Jugendlichen. Sie wächst auf mit einer teuflischen Mutter und einem alkoholkranken Vater, später dann im Heim. Nie wird etwas besser, stets verschlimmert sich ihre Lage.

Ähnlich geht es der Heldin in "Die Schmerzmacherin", dem Roman der Österreicherin Marlene Streeruwitz. Ihr Buch ist eine Zumutung - in mancherlei Hinsicht. Das Schicksal einer Beauty Queen, die es aus nicht nachvollziehbaren Gründen in die Trainingscamps von Sicherheitsunternehmen verschlägt, nimmt stellenweise groteske Züge an. Der stakkatohafte Sprachstil tut ein Übriges, um "Die Schmerzmacherin" zur Lektüre-Prüfung der härteren Art zu machen.

Sibylle Lewitscharoff dagegen ist eine der großen Stilistinnen: Ihr fantasiereicher Roman "Blumenberg" würdigt den Philosophen - und ist das heiterste Buch unter den nominierten. Beinahe gänzlich unheiter ist dagegen Michael Buselmeiers Bildungsroman "Wunsiedel": Er erzählt die Geschichte einer großen Ernüchterung. Der schauspielernde Ich-Erzähler erleidet in der Theaterprovinz Schiffbruch.