Unterwegs mit einer Klangkathedrale: Die virtuos-versponnene Musikerin beginnt heute ihre Deutschland-Tour

Laeiszhalle. Tori Amos liebt Experimente. Und sie vergleicht ihre Arbeit gern mit der von Architekten. Einen Song zu schreiben hat sie in einem Interview erzählt, sei so, als ob man ein Chalet konstruiere. In "Night Of The Hunters" hat sich die Musikerin nun ein Klassik-Album gebaut. Zu ihren neuen Songs ließ sie sich unter anderem von Schubert, Chopin, Bach, Mussorgski, Scarlatti und Erik Satie inspirieren. Um zu demonstrieren, dass sie dabei ihre sonstigen Anstrengungen noch übertreffen wollte, wählt sie erhabene Worte: "Dieses Album war eher eine Klangkathedrale, in der alles mit allem zusammenhängt." Heute beginnt sie ihre Deutschland-Tour in der Laeiszhalle.

Ausgerechnet Klassik. Das wirkt fast, als hätte Amos da noch eine Rechnung offen gehabt. Die Amerikanerin galt schon früh als eine Art Wunderkind und wurde mit fünf Jahren am renommierten Peabody Institute in Baltimore aufgenommen. Als das eigenwillige Kind aber darauf bestand, Musik nur "hören", nicht aber "lesen" zu wollen, war seine Ausbildung dort beendet.

Heute, eine zweistellige Millionenzahl verkaufter Tonträger später, scheint man dort die damalige Trennung zu bedauern. Sie habe mehrere freundliche Briefe vom Institut erhalten und werde demnächst den neuen Dekan treffen, sagt Amos. Was der wohl von ihrer Bearbeitung der klassischen Themen hält? Unterfüttert hat sie die Musik mit Texten, die auf nordamerikanische und keltische Mythologien zurückgreifen. Sowohl väter- als auch mütterlicherseits hat die Tochter eines Methodisten-Pfarrers und einer Cherokee-Nachfahrin auch irische Wurzeln. Bereits ihr Album "Boys For Pele" hat sie auf der Grünen Insel aufgenommen, weil Peter Gabriel ihr geraten hatte, ein altes Haus als Studio zu benutzen.

Mit dem Album erregte sie 1996 auch deshalb Aufsehen, weil sie auf einem der Cover-Fotos einem Ferkel die Brust gibt. Auf solche Provokationen kann sie längst verzichten. Bei vier der neuen Songs singt Amos' zehn Jahre alte Tochter Natashya mit. Im Nachhinein gibt sich die 48 Jahre alte Mutter erstaunt darüber, dass sie dieses Projekt mit der Deutschen Grammophon realisiert hat. "Ich hätte vor einigen Jahren nie geglaubt, dass ich mal so etwas machen würde."

Aber natürlich musste sie wieder etwas Neues auf den Markt bringen. Tori Amos, die eigentlich Myra Ellen Amos heißt, ist seit einem Vierteljahrhundert virtuos-versponnen und erfolgreich als Singer-Songwriterin im Musikgeschäft und hat sich oft einfallsreich gezeigt, wenn es darum ging, ihr Spektrum zu erweitern. Sie erfindet sich gern neu, aber nur ein bisschen, denn schließlich sollen die Fans sie wiedererkennen. Sie hat Konzeptalben aufgenommen, auf denen sie gleich in mehrere Rollen vom verruchten Vamp bis zum unschuldigen Schulmädchen geschlüpft ist.

Ihre Freunde Neil Gaiman und Rantz A. Hosely haben Zeichner angeregt, in "Comic Book Tattoo" Amos-Songs optisch neu zu interpretieren. Und die 48-Jährige arbeitet an einer Musical-Umsetzung des Märchens "The Light Princess" von George MacDonald für das National Theatre.

"Shattering Sea" heißt das erste Stück auf "Night Of The Hunters". Mit dieser Musik gewordenen Episode aus einer zerfallenden Liebe hat sie vorgestern ihr Konzert in Rom eröffnet. Aber vielleicht lässt sie das Publikum ihre "Kathedrale" heute durch einen anderen Eingang betreten. Die Künstlerin experimentiert schließlich auch gern, wenn sie auf Tour ist.

Tori Amos heute 20.00, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz, Karten ab 57,35; www.toriamos.com