Vom Film auf die Kammerspiele-Bühne: Kai Wessel inszeniert “Das kunstseidene Mädchen“ mit Pheline Roggan, die in “Soul Kitchen“ mitspielte.

Hamburg. "Ich will schreiben wie Film", notiert die Tippse Doris in ihrer eigenen Sprache in Irmgard Keuns Romanbiografie "Das kunstseidene Mädchen". "Ich sehe mich in Bildern und wenn ich es später lese, ist alles wie Kino." Alles wie Kino? Ja, tatsächlich. Denn es waren zwei Künstler aus dem Filmbereich, die sich die Doris-Story vorgenommen haben und sie nun auf die Bühne bringen. Solo-Filme gebe es wohl kaum, sagt Kai Wessel ("Hildegard Knef"). Doris-Darstellerin Pheline Roggan ("Soul Kitchen") hat bis jetzt noch nie solo ein Theaterstück gespielt. Heute ist Premiere in den Kammerspielen.

Doris will "ein Glanz" sein. "Das bedeutet hier mehr als nur Glamour", sagt Wessel, erkennt in Doris' Traum einen zutiefst menschlichen Wunsch: "Jeder möchte doch ein Glanz sein, im Sinn von anerkannt werden, für andere Bedeutung und Wert haben." Doris sei auf der Suche nach einem sie erfüllenden Leben in den Krisenjahren nach 1929.

Glanz im Sinn von Glamour bedeutet Pheline Roggan nichts. Was von diesem Traum bleibt, weiß das Ex-Model nur zu gut: "Ich bin mit 15 in New York gewesen, wollte aber lieber beim Geburtstag meiner Freundin in Hamburg sein." Roggan flog durch die Welt, genervt vom Leben zwischen zwei Welten. "Das war nicht mein Supertraumberuf." Sie wurde Schauspielerin.

Ein wenig Ruhe vor dem Sturm, dann wird das Meer zur Braut

Roggan reizt an Doris deren lakonisch treffsichere Sprache. "Sie hat keine gute Bildung, aber einen lebensklugen Blick für die Umwelt. Am meisten gefällt mir, dass ihr Selbstmitleid völlig fremd ist." Doris sei eine Überlebenskünstlerin, meint Wessel: "Sie weiß die Nase über Wasser zu halten und verliert trotz aller Schwierigkeiten nie ihren Humor." Die Möglichkeit im Theater ohne Kamerablick, naturalistischen Set und die Technik von Schnitt und Gegenschnitt zu arbeiten, interessiert den Filmregisseur. Es gelte eine funktionierende Dynamik und Spannung für die Szenen in der Kunstsituation der Bühne zu finden. Im Film koste jede Minute Geld. "Aber sexy finde ich daran, dass alles für die Ewigkeit ist. Und von den Schauspielern bekomme ich die besten Momente, die sie oft nur einmal schaffen. Das zusammengeschnittene Best-of aller Szenen ist der Film."

Im Theater benötigt der Schauspieler neben einer körperlichen und stimmlichen Bühnenpräsenz die Fähigkeit, auf der Probe Gefundenes wieder herstellen und Abend für Abend reproduzieren zu können. "Ja, nicht immer einfach, denn egal, was dir am Tag passiert ist, du musst abends auf die Bühne", gibt Roggan zu. "Aber es gibt dafür die Chance, im Zusammenspiel Überraschendes zu erleben." Außerdem habe sie nicht die Illusion, als Schauspielerin im Film alles spielen zu können. "Man wird von außen gesehen, zu viele Leute reden beim Casting mit, und man setzt auf die Nummer sicher." Sie möchte die andere Art zu spielen nicht missen: ihr fremde Charaktere über Wochen zu erforschen, sie sich aneignen, eigene Ideen testen und verwerfen zu können.

Deshalb will Roggan weiter Theater spielen. Auch wenn sie hauptsächlich dreht, ist sie offen für anderes: Lesungen im Polittbüro, Performances oder interdisziplinäre Projekte wie die "Diskurs-Operette" mit Deichkind auf Kampnagel. "Ich finde es auch gut, solche Produktionen spontan auf die Beine zu stellen." Sie will in Bewegung bleiben. Darum auch die Entscheidung für das Solodebüt: "Das Vertrauen von Kai, mir das zuzutrauen, hat mit Mut gemacht." Die beiden haben bis jetzt nur im Theater gemeinsam gearbeitet und noch keinen Film miteinander gedreht. Was nicht ist, kann noch werden.

Das kunstseidene Mädchen bis 10.11., Kammerspiele, Karten unter T. 0800-41 33 440.