Regisseur Andreas Dresen und Produzent Peter Rommel gewinnen für ihr Krebsdrama “Halt auf freier Strecke“ die Douglas-Sirk-Trophäe.

Hamburg. Morgen beginnt das Filmfest Hamburg, und einer der Höhepunkte ist die Verleihung des Douglas-Sirk-Preises, der nach dem in Eimsbüttel geborenen und später in die USA emigrierten Regisseur benannt wurde. In diesem Jahr geht er gleich an zwei Filmschaffende. Regisseur Andreas Dresen und Produzent Peter Rommel arbeiten seit Jahren zusammen: auch und gerade, wenn es um anspruchsvolle Themen geht. Das haben sie in Filmen wie "Wolke 9" gezeigt, in dem es um das Thema Sex im Alter geht, oder "Sommer vorm Balkon", einer unterhaltsam-nachdenklichen Annäherung an das Thema Alkoholismus. Ihre jüngste Zusammenarbeit bestätigt diesen Ruf und bescherte ihnen einen großen Erfolg in Cannes.

"Halt auf freier Strecke" erzählt vom Sterben eines krebskranken Mannes und der Verarbeitung des Schicksals in der Familie. Das Ergebnis ist ein erschütternder und mutiger Film, der genau hinsieht und den Beteiligten ihre Würde lässt. Wie experimentell und zugleich präzise Andreas Dresen arbeitet, veranschaulicht schon der Anfang. Da bekommt der Protagonist Frank Lange, großartig gespielt von Milan Peschel, vom Arzt seine Diagnose mitgeteilt. Er leidet an einem inoperablen Hirntumor und hat nicht mehr lang zu leben. Diese Szene drückt einen in den Kinosessel vor lauter Wucht. Eigentlich sollte sie gar nicht im fertigen Film auftauchen. Dresen wollte sie quasi als Prolog für die Schauspieler drehen, damit sie sich besser in die Problematik hineinfinden konnten. Der Arzt ist echt. Peschel und Steffi Kühnert, die seine Ehefrau spielt, hatten ihn vorher nie gesehen. Nur Arzt, Schauspieler, Kameramann und Regisseur waren im Raum, Dresen angelte selbst den Ton.

Was im Film acht Minuten dauert, zog sich in der Realität über 40 Minuten hin und hinterließ bei allen Beteiligten Spuren. "So etwas hatte ich noch nie gesehen und es mir so auch nicht vorgestellt. Es war eine unfassbare Mischung aus Sachlichkeit und Empathie", sagt Dresen. Er musste weinen, Steffi Kühnert auch, aber sie kämpfte ihre Tränen nieder. Die Szene war so stark, dass sie an den Anfang des Films kam. "Ich konnte sie nicht mitten in eine rhythmisch gebaute Erzählung stellen. Der Film beginnt unvermittelt und sofort - so wie eben auch ein Schicksalsschlag in unser Leben fährt. Rücksichtslos."

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Dresens Filme, egal ob Spielfilm oder Dokumentation, weisen eine große Nähe zum wahren Leben auf. Das belohnte in diesem Fall auch die Jury in Cannes mit einem Preis. Dabei war der Regisseur, der seine Schauspieler schon mal ohne festes Drehbuch auf die Arbeit loslässt, erst in letzter Minute fertig geworden. "Es war ein Ritt über den Bodensee. Ich war vor Aufregung fast taub." Dass der bescheidene Filmemacher, der eher ein Glamour-Verweigerer ist, jetzt ausgerechnet den Preis bekommt, der nach dem Melodramatiker Sirk benannt ist, findet er lustig.

Denn seine eigenen Filme seien von dessen Werk "meilenweit entfernt". Aber: "Als ich mir angesehen habe, wer den Preis bisher gewonnen hat, war ich schon baff. Es ist eine extrem illustre Gesellschaft, in der wir da jetzt mitspielen können." Dass sein Freund Rommel auch ausgezeichnet wird, hält er für eine gute Idee. "Ich finde es ganz wichtig, dass endlich mal ein Produzent als jemand begriffen wird, der eine kreative Leistung erbringt. Peter hat mich gerade in den unbequemen Projekten bestärkt. Das ist sehr ungewöhnlich. Ich weiß, wie oft das nah am Abgrund vorbeischrammt."

Dresen ist in Gera geboren, Peter Rommel dagegen Schwabe. Das hört man sofort, auch wenn er schon seit Jahren in Berlin lebt. Er spricht nicht nur wie ein Schwabe, sondern denkt auch so. Man merkt es, als er sich fürchterlich darüber aufregt, dass in dem Hotel einige Pressehefte verschwunden sind. Die waren doch teuer! "Ich bin jemand, der versucht den Kreativen Wünsche zu erfüllen", sagt Rommel. "Ich möchte Geschichten auf die Leinwand bringen, die man selbst gern sehen würde, vielleicht auch als Reflexion über die Gesellschaft und sein eigenes Leben." Das Besondere am Verhältnis zu Dresen sei dessen komplette Offenheit. "Es gibt zwischen ihm und mir eine hohe Transparenz. Wir halten nichts zurück." Rommel möchte Tiefgang. Filme, die an den Oberflächenstrukturen verweilen, öden ihn an. Und obwohl er sich nicht für politisch hält, ist er es mit seinem genauen Blick auf die Dinge aber doch. Deshalb hat er auch mit jungen Regisseuren einen Film zum Thema Stuttgart 21 gedreht. Der 1956 geborene Rommel ist ein ungewöhnlich bodenständiger Produzent in einer Berufsgruppe, in der an Exoten kein Mangel herrscht. Auch er hat zu Douglas Sirk kein besonders intensives Verhältnis, aber er gibt sich pragmatisch. "Wenn die Auszeichnung Nicholas-Ray- oder Samuel-Fuller-Preis heißen würde, würde es irgendwie besser passen, aber ich nehme ihn trotzdem."

Die Laudatio hält am Sonnabend im Cinemaxx der ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde Joachim Gauck. Für die Veranstaltung gibt es noch Karten im Kino und am Ticket-Schalter im Levantehaus, Mönckebergstraße 7.

"Halt auf freier Strecke" Sa 19.00, Cinemaxx (S Dammtor), Dammtordamm 1, Eintritt 8,50