Im ARD-Zweiteiler “Der Mann mit dem Fagott“ über die Familie Bockelmann kommt die Lebensgeschichte des Entertainers zu kurz.

Hamburg. Auf den Mann im weißen Bademantel muss man lange warten. Zu lange. Aber es ist nun einmal nicht Udo Jürgens, der die Hauptfigur spielt. In dem Zweiteiler "Der Mann mit dem Fagott", den die ARD zum 77. Geburtstag des Sängers ausstrahlt, wird Jürgens' Kindheit nur angerissen, ebenso die Anfänge seiner Karriere, sein Sieg beim Grand Prix. Kein "Griechischer Wein", kein Wort über seine Ehen, die Vaterschaftsklagen oder die nachlassende Manneskraft, von der Jürgens kürzlich in Interviews sprach.

Hier wird die Geschichte der Familie Bockelmann erzählt, der Familie des 1934 als Udo Jürgen Bockelmann geborenen Schlagerstars.

Hauptfigur ist Großvater Heinrich Bockelmann (Christian Berkel), der Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Bremer Weihnachtsmarkt einen Fagottspieler beobachtet und sich dazu entschließt, in das Russland der Zarenzeit auszuwandern. 20 Jahre später ist er Direktor einer einflussreichen Privatbank in Moskau, feiert Partys mit der deutschen Elite. Sein Traum von der Völkerfreundschaft platzt, als Deutschland Russland den Krieg erklärt. Während seine Frau mit den Kindern nach Schweden flieht, wird er nach Sibirien deportiert.

Seine Söhne wachsen zu Männern heran. Der ehrgeizige Rudi (Ulrich Noethen) wird im Dritten Reich Bürgermeister des österreichischen Ottmanach, er sympathisiert zunächst mit den Nazis. Rudis Sohn Udo wird geboren, bringt sich selbst das Klavierspielen bei. Und während seine Geschwister in der Zeit des Wirtschaftswunders in die Fußstapfen des erfolgreichen Großvaters treten, tingelt Udo, das schwarze Schaf der Familie, in den 50er-Jahren durch Bars und sucht als Jazzsänger sein Glück in der Musik.

Es gibt Bücher, die lassen sich nur schwer verfilmen. Die 2004 erschienene Autobiografie von Udo Jürgens, an der er mit seiner österreichischen Koautorin Michaela Moritz sechs Jahre gearbeitet hatte, gehört sicherlich dazu. Die mit viel Pappmaché und Geigen-Zinnober inszenierte Familienchronik aus dem Hause Ziegler Film will einfach zu viel. Die Zeitreise durch 100 Jahre europäischer Geschichte eignet sich vielleicht für einen 750-Seiten-Roman, nicht jedoch für einen 200-minütigen ARD-Film.

+++ Udo Jürgens spielt in Verfilmung seiner Autobiographie +++

+++ "Ich bin nah am Wasser gebaut" +++

High-Society-Partys in Moskau, Todesängste im sibirischen Lager, Familienidylle in Kärnten - der Film von Regisseur Miguel Alexandre ("Die Frau vom Checkpoint Charlie", "Die Manns - Ein Jahrhundertroman") ist überfrachtet mit Ereignissen und Figuren. Ursprünglich sollte die Verfilmung sogar drei Teile haben, immerhin von dieser Idee hat man abgesehen. Der Produktion hätte es gut getan, hätten sich die Drehbuchautoren Miguel Alexandre und Harald Göckeritz ("Tatort: Mord in der ersten Liga") allein auf das Leben des Schlagersängers und seines Großvaters konzentriert.

Opa Bockelmann, der so charismatisch von Christian Berkel dargestellt wird, zur Hauptfigur des Zweiteilers zu machen ist eine gute Idee. Alle anderen Familienmitglieder werden jedoch viel zu intensiv behandelt. Familiäre Schicksalsgeschichten aus der Zeit des Ersten oder Zweiten Weltkriegs wurden schon oft verfilmt - und oft auch qualitativ besser. Dafür braucht man diesen Film nicht.

Schließlich will man doch in einem Udo-Jürgens-Film vor allem Udo Jürgens sehen. Es ist nicht unsympathisch, dass Jürgens sich so bescheiden im Hintergrund hält und seiner Familie den großen Auftritt überlässt. Man ahnt jedoch, wie unterhaltsam das Biopic hätte werden können, hätte es sich allein auf das filmreife Leben des Schlagerstars konzentriert.

Die Verfilmung hat ihre Stärken, wenn sie sich in viel zu seltenen Sequenzen dem Leben Jürgens' widmet. Da ist der kleine Udo, der unter dem nationalistischen Drill leidet und sich in die Musik flüchtet. Da ist der junge Mann, der in Amerika seinen eigenen Stil sucht und dessen erste Beziehung an der Liebe zu der Musik scheitert. Da sind die engstirnigen Produzenten, die dem jungen Musiker das Schnulzengenre aufdrängen und aus ihm einen neuen Freddy machen wollen.

Gerne hätte man mehr von diesem Udo gesehen, dem zweifelnden, suchenden, selbstkritischen Künstler, der nach seinem Weg sucht und mit großer Ähnlichkeit von David Rott dargestellt wird.

Wahrscheinlich hatten der Regisseur und sein Drehbuchautor zu viel Respekt vor der Romanvorlage und der Familiengeschichte Jürgens', als dass sie sich von ihr hätten losreißen können. "Ich habe mich jeden Tag gekniffen und mich gefragt, ob ich das träume oder ob das echt ist", sagte Alexandre über die Zusammenarbeit mit dem Star. So lässt es sich erklären, warum er sich nicht traute, einen anderen Schwerpunkt zu setzen, als Jürgens ihn in seiner Biografie wählte.

Da viel zu viele Geschichten und Epochen angerissen werden, kann sich kein Hauptstrang entwickeln, der fesselt. Die Pappkulisse, in der der Bockelmann-Clan durch die Jahrzehnte jagt, ist zwar zum Teil pompös gestaltet (Szenenbild: Benedikt Herforth), doch fehlt ihr jegliche Authentizität. Der Jazzklub in Harlem groovt nicht, man friert nicht beim Anblick der sibirischen Gefängniszelle. Die Tatsache, dass David Rott nicht selber singt, sondern Udo Jürgens ihm am Klavier seine Stimme leiht, trägt ihren Teil zu dieser filmischen Sterilität bei. Auch wenn es das echte Leben ist - vieles wirkt hier konstruiert. Sehenswerte Schauspieler wie Christian Berkel, Herbert Knaup, Ulrich Noethen (und Udo Jürgens in Kurzauftritten) geben sich alle Mühe, den Zuschauer an die elf Millionen Euro teure Historien-Schmonzette zu fesseln. Sie schaffen es jedoch nicht.

Direkt im Anschluss an den ersten Teil feiert Udo Jürgens am Donnerstag bei Reinhold Beckmann in seinen 77. Geburtstag hinein, danach folgt in der ARD ein Making-of des Zweiteilers. Im Anschluss an den zweiten Teil wird am Freitag in der ARD ein Konzertmitschnitt aus dem Jahr 2006 gezeigt.

"Der Mann mit dem Fagott" Teil 1 und 2, Donnerstag und Freitag jeweils 20.15, ARD