Er gilt als einer der größten deutschsprachigen Entertainer. Doch wer ist der Mann mit dem Bademantel wirklich?

Hamburg. Mehr als 1000 Lieder hat er komponiert. "Ich war noch niemals in New York" kennen 80- wie 18-Jährige. Seine Mutter Käthe stammte aus Schleswig-Holstein. In Hamburg gab er sein allererstes Konzert in Deutschland - im April 1967 in der Musikhalle. Im Operettenhaus feierte am 2. Dezember 2007 das Musical "Ich war noch niemals in New York" mit seinen größten Hits Welturaufführung und lockte bis jetzt eine Million Menschen auf die Reeperbahn.

Kein Wunder, dass sich die Aktivitäten rund um Udo Jürgens' 75. Geburtstag auf die Hansestadt konzentrierten: Hier wurde die große Geburtstagsgala des ZDF für den Entertainer (Ausstrahlung heute, 21.45 Uhr) aufgezeichnet. Hier gab er Interviews, präsentierte seine neue Doppel-CD "Best of". Und hier tritt er am 20. November in der Color-Line-Arena auf. Mit 75 Jahren ist noch lange nicht Schluss ...

Das Abendblatt hat ihn in den vergangenen Wochen bei seinen Terminen in der Stadt begleitet - vom Interview bis zur großen Fernsehshow. Und versucht, den Menschen, und nicht nur den Entertainer, Musiker und Komponisten Udo Jürgens kennenzulernen.

Hamburger Abendblatt:

Wenn das vor 45 Jahren mit dem Start der Solokarriere nicht geklappt hätte - was wäre dann aus Ihnen geworden?

Udo Jürgens:

Vielleicht Barpianist. Eigentlich wollte ich nie singen, sondern lieber Klavier spielen. Mein Anfang in der Musikbranche ging gründlich in die Hose. Die Lieder, die mir die Produzenten aufdrückten, waren Schwachsinn. Ich wollte Themen unserer Zeit besingen - erst, als ich das durfte, kam der Erfolg.

Abendblatt:

Gibt es einen Unterschied zwischen dem Udo Jürgens auf der Bühne und dem Privatmenschen?

Jürgens:

Schwer zu sagen. Ich denke nicht. Auf der Bühne kann ich meine Gedankenwelt verkünden. Mir wird Eitelkeit nachgesagt, aber ich bin mit Sicherheit kein Arschloch geworden. Ich habe nie meine Freunde verraten, keinen Hass bei Frauen gegen mich gesät. Auch wenn ich sicherlich nicht der geeignetste Ehemann gewesen bin. Ich kann nicht treu sein.

Abendblatt:

Warum nicht?

Jürgens:

Ich sage mir immer: Es ist leicht, treu zu sein, wenn man keine Chancen hat.

Abendblatt:

Und Sie hatten zu viele Chancen?

Jürgens:

(lacht) Das habe ich nicht gesagt ...

Aber gedacht. Die Koketterie des 75-Jährigen ist allzeit gegenwärtig. Nicht umsonst gilt er als Frauenschwarm - und gibt dabei freimütig zu, der Natur auf die Sprünge geholfen zu haben: Die abstehenden Ohren ließ er mit 19 Jahren anlegen. Sein Äußeres ist ihm wichtig: Gepflegte Kleidung gehört dabei genauso dazu wie das Wissen um die eigene Schokoladenseite, wenn er vor die Kamera tritt.

Er liebt den großen Auftritt ebenso wie die charmanten, kleinen Gesten. Ein Handkuss, das Helfen in den Mantel - bei ihm wirkt es nicht aufgesetzt. Den Damen gefällt's: Neben den Kindern Jenny und John hat er zwei nicht eheliche Töchter. Und er ist gerade zum dritten Mal Großvater geworden.

Abendblatt:

Was bedeutet Ihnen die Familie?

Jürgens:

Je älter ich werde, desto klarer wird mir: Sie ist mein Leben. Ich habe wunderbare Kinder, die mir echte Zauberenkel geschenkt haben. Mein drittes Enkelkind wurde vor Kurzem geboren. Es heißt Lilly wie meine Großmutter mütterlicherseits. Ein sehr hübsches Kind, denn meine Schwiegertochter ist Koreanerin. Quasi ein positiver Beitrag zur Globalisierung.

Abendblatt:

Sie haben mal gesagt, dass Sie kein guter Vater waren. Was haben Sie falsch gemacht?

Jürgens:

Ich war kein schlechter Vater von der Seele her, sondern ich bin einfach nie zu Hause gewesen. Die Frau ist für die Familie zuständig gewesen. Das war damals einfach anders. Heute sagen meine Kinder: Gott sei Dank warst du so. Und meine Enkel lieben mich unheimlich.

Abendblatt:

Sie sagen über sich selbst, dass Sie sehr sensibel sind. Wann haben Sie das letzte Mal geweint?

Jürgens:

Ich bin nah am Wasser gebaut, vor allem wenn es um Emotionen geht. Im Film zum Beispiel. Ich weine aus Glück oder aus Schmerz.

Abendblatt:

Auch auf der Bühne?

Jürgens:

Doch, manchmal. Zwischen Publikum und mir auf der Bühne entwickelt sich bei einem Konzert eine enge Verbindung. Bei dem Lied 'Ich lass euch alles da' habe ich kürzlich bei einem Konzert einen jungen Mann in der ersten Reihe weinen sehen. Da stiegen mir auch die Tränen in die Augen.

Doch er kann auch anders. Wie er bei der Aufzeichnung für seine Geburtstags-Gala dem überraschten Publikum bewies. Als Otto Waalkes für einen kurzen Auftritt auf die Bühne kam, sprang Jürgens spontan auf - und hüpfte in Waalkes-Manier durch das Operettenhaus. Den Hampelmann macht er aber nicht für jeden: Sowohl bei der Aftershow-Party, als auch bei der CD-Vorstellung reagierte er genervt auf die ständigen Zurufe der Fotografen. Manchmal wird ihm der Trubel um seine Person einfach zu viel. Wäre es nach ihm gegangen, die große Fernsehshow zu seinen Ehren hätte es nicht gegeben.

Abendblatt:

Wie sieht Ihre private Geburtstagsfeier aus?

Jürgens:

Ich werde mit allen Menschen feiern, die ich liebe. Es ist ein Abend nur für uns.

Mit 75 Jahren ist noch lange nicht Schluss: Udo Jürgens, der seine Zugaben stets im Bademantel gibt, plant, ein neues Album zu veröffentlichen. Er schreibt an seinem zweiten Buch und wartet auf die Verfilmung des ersten, "Der Mann mit dem Fagott". Parallel ist er weiter auf Tournee. Einer, der nicht aufhören kann? Den Ruhestand lehnt Udo Jürgens vehement ab: "Den Liegestuhl empfinde ich als Bedrohung."