Sie sind jung, mutig und vor allem gut: Auch beim diesjährigen Harbour Front Literaturfestival lesen wieder talentierte Nachwuchsautoren.

Hamburg. Bei Roberto Benignis Kinofilm "Das Leben ist schön" musste man eher lächeln als lachen. Es ist ein leiser Humor, der ihn zum erfolgreichsten italienischen Film aller Zeiten machte: Ein Vater deutet die dem Tode geweihte Existenz in einem Konzentrationslager für den kleinen Sohn in eine Art Räuber-und-Gendarm-Spiel um. Tragikomödie nennt sich das Genre. Man darf auch über den Holocaust schmunzeln, das war die Quintessenz, die sich vor knapp anderthalb Jahrzehnten aus dem Erfolg Benignis ergab.

Die Kölnerin Astrid Rosenfeld hat einen Roman geschrieben, der auch so etwas wie eine Tragikomödie ist: "Adams Erbe". Er erzählt die Geschichte von Edward Cohen, der im Berlin der Gegenwart lebt. Und die von Adam Cohen, seinem Großonkel, der das Pech hatte, gleichzeitig mit Adolf Hitler und mörderischen Deutschen auf der Welt zu sein.

Rosenfeld trennt ihr Buch in zwei Teile; im einen berichtet Edward von seinem Aufwachsen in einer etwas skurrilen Familie, im zweiten Adam von seiner absurden Reise unter die Nazis. Er will seine Geliebte retten. Das tut er auch, indem er sein eigenes Leben für ihres gibt, und nicht nur deswegen hat "Adams Erbe" eine ziemlich dramatische Handlung. Aber die ist auch sehr, sehr komisch: Das liegt zum einen an Rosenfelds Sprache, zum anderen an der Handlung, die aberwitzig und manchmal auch albern ist. Genau das macht die Qualität des Romans aus. Rosenfeld steht verdientermaßen auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, und sie liest auf dem heute beginnenden Harbour Front Literaturfestival.

Harbour Front Literaturfestival - ganz neue Seiten im Hafen

Cornelia Funke liest am Montag beim Harbour Front

Auch dessen dritte Ausgabe wartet also mit Prominenz auf, auch wenn die manchmal nur Insidern bekannt ist. Debütanten, das sind neue Stimmen der Literatur: Sie wollen gehört werden. Und manchmal überraschen sie. Mit neuen Sujets und ästhetischen Wagnissen. Auf dem Hamburger Literaturfestival lesen in diesem Jahr an 28 Orten 110 Autoren aus 27 Ländern. Es sind Bestsellerautoren dabei wie Doris Dörrie, Kathy Reichs und Hakan Nesser; außerdem wohlbekannte Welterklärer wie Richard David Precht und Hans-Jochen Vogel. Die Festivalmacher setzen natürlich auch auf Publikumsmagneten. Aber sie geben auch denen eine Bühne, die noch unbekannt sind.

Astrid Rosenfeld ist, wenn man so will, die prominenteste Debütantin, die in diesem Jahr auf dem Harbour Front Festival liest. Sie tut dies im mittlerweile etablierten Debütantensalon auf der "Cap San Diego": Dort bewerben sich zehn junge Autoren und Autorinnen um den Klaus-Michael-Kühne-Preis. Der ist mit 5000 Euro dotiert und wird von einer Jury bestimmt, die aus Literaturredakteuren von "Spiegel Online", NDR Kultur, "Zeit Campus", "Stern" und Hamburger Abendblatt besteht. Belohnt wird am Ende der überzeugendste Debütant; um der Wahrheit Genüge zu tun, muss an dieser Stelle natürlich auch Eugen Ruge genannt werden. Der liest am 21.9. auf dem Harbour Front Festival, steht ebenfalls auf der Longlist (hat also nach Meinung einer kleinen Gruppe von professionellen Lesern einen der 20 besten Romane des Jahres geschrieben) und ist, im zarten Alter von 57 Jahren, tatsächlich noch Debütant. Aber kein Bewerber um den Kühne-Preis - den überlassen die Festivalmacher den jüngeren Autoren. Gut, die sind auch schon mal über 40 wie die Linzerin Judith Taschler, die zusammen mit Rosenfeld, Jahrgang 1977, am 15.9. den Reigen der (insgesamt fünf) Debütantensalons eröffnet. Taschlers Roman "Sommer wie Winter" ist nicht nur in ihrer Heimat Österreich sehr gelobt worden. Er gehört in die Tradition der Berg-, Provinz- und/oder Dorfromane. Dort, wo wenige Menschen auf engem Raum zusammenleben, dort, wo man hinter jedem Fenster ein Familiengeheimnis vermutet. Im Falle der Familie gibt es das tatsächlich: Im Mittelpunkt steht der junge Alexander, der als Adoptivkind in die Familie geholt wurde. Während die Eltern resolut die Chance ergreifen, die ihnen die touristische Erweckung der Region bieten, vernachlässigen sie besonders dieses Kind, das nicht ihres ist.

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Alexanders Erziehung ist lieblos. Aus der Misere befreit er sich auf gewisse Weise selbst, reißt sich und die Familie dabei aber in eine existenzielle Krise, ja: Er zerstört die Gemeinschaft. Das alles, weil er Aufschlüsse über seine eigene Herkunft bekommen will. Man ahnt spätestens ab der Hälfte des Romans, worauf das Ganze hinausläuft - trotzdem ist die Lektüre fesselnd.

Es ist ein vielstimmiger und nicht auf einen Nenner zu bringender Ausschnitt der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, die die Festivalmacher Peter Lohmann und Silke Ohlenforst für die Debütantensalons ausgewählt haben. Während Michel Bozikovic mit seinem handlungsreichen Roman "Drift" das ehemalige Jugoslawien besucht, steuert Antonia Baum in "Vollkommen leblos, bestenfalls tot" immer nur den Kopf ihrer mehr oder weniger kaputten Heldin an. Die ist eine leidenschaftliche Anhängerin der Kritischen Theorie. Es gibt nichts, was sie gelten lässt, es ist alles, Verzeihung, zum Kotzen: die Liebe, das Leben, die Eltern. Baums Roman ist ein einziger Redeschwall, wortmächtig und superböse. Das muss man so mögen, dann kann man's lesen. Beim Klagenfurter Vorlese-Wettbewerb kamen sowohl Bozikovic und Baum eher mäßig an. Aber immerhin waren sie eingeladen.

Auffällig ist übrigens die Vergangenheitssucht der Erzähler, die auf der "Cap San Diego" lesen. Und der Blick auf Geschlechterkampf und Geschlechterrollen: Mal sind die Mütter lieblos, mal die Frauenfiguren zu dominant. In "Adams Erbe" sperren sie ihre psychisch labilen Männer grundsätzlich weg. Wie gut, dass Rosenfeld es versteht, einen auch über solche Freiheitsberaubungen schmunzeln zu lassen.

Nach Hamburg, zum Debütanten-Vorlesen geladen sind neben den genannten Odile Kennel (" Was Ida sagt"), Nicole Balschun ("Ada liebt"), Friedrich von Borries ("1WTC"), Katharina Eyssen ("Alles Verbrecher"), Albrecht Selge ("Wach") und Monica Cantieni ("Grünschnabel").

Debütantensalon mit Astrid Rosenfeld und Judith Taschler, 15.9., 18.00, "Cap San Diego" (U Baumwall). Eintritt 10 Euro

Die weiteren Termine: 16.9. (mit Odile Kennel und Nicole Balschun), 18.9. (mit Monica Cantieni und Michel Bozikovic), 20.9. (mit Friedrich von Borries und Katharina Eyssen) und 22.9. (mit Antonia Baum und Albrecht Selge)

Beginn jeweils 18 Uhr auf der "Cap San Diego"