Akrobatik, Musik und Zirkus auf die neue Art: The 7 Fingers erzählen in den Fliegenden Bauten ironisch-akrobatisch über Trauer und Liebe.

Fliegende Bauten. Um den Begriff Zirkus wird gerade in Zeiten der marketingtechnisch befeuerten Massenunterhaltung oft ein zusätzlicher Zirkus gemacht. Jüngst beanspruchte Havanna, Welthauptstadt des Zirkus zu sein: Auf Kuba traten im August beim "10. Festival Circuba" Artisten aus ganz Südamerika auf. Bereits im vergangenen Jahr behauptete die Festspielstadt Salzburg - ganz unbescheiden -, Zirkus-Hauptstadt des deutschsprachigen Raumes zu sein. Nur weil dort vier Zelte standen. Und dann wäre da noch das noble, etwas zurückhaltendere Monaco.

Die Hauptstadt des Cirque Nouveau, des Neuen Zirkus, ist jedoch Montreal. In der Olympia-Stadt von 1976 ist nicht nur die bekannte Tanztruppe Lalala Human Steps ansässig, sondern auch der Cirque du Soleil - wenn er nicht mit seinen bis zu sechs Produktionen weltweit tourt, wie im Vorjahr mit Halt in der Hamburger O2 World.

Dass es auch eine Nummer kleiner geht, zeigen die ebenfalls aus Montreal stammenden The 7 Fingers. Und die sieben frankokanadischen Artisten, die vom heutigen Mittwoch an in den Fliegenden Bauten spielen, sind in Hamburg beileibe keine Unbekannten. Bereits im Dezember 2004 gastierte die Compagnie auf Kampnagel. Mit der Show "Loft" zeigte das Septett, dass Akrobatik, Kunst und Komik auch inmitten einer Wohngemeinschaft originell und liebenswert schräg unterhalten können. Messerwerfer hantierten mit scharfem Gerät, nebenbei wurde in der Wohnküche Apfelkuchen gebacken, und sprichwörtlich über den Dingen schwebten Frauen und Männer am Trapez. Die Besucher betraten die Halle damals übrigens durch einen überdimensionalen Kühlschrank.

The 7 Fingers' musikalischer Begleiter, der Human-Beat-Box-Artist DJ Pocket, frickelt auch bei der neuen Produktion "La Vie" munter mit. Er macht den Artisten zwar nicht das Leben zur Hölle, diese liefern indes einen ironischen Einblick in die Abgründe ebenjener. Angefangen von schlechtem Benehmen über Wahnsinn, Trauer, Schmerzen, Flugzeugunfälle bis zur romantischen Liebe, die nicht von ewiger Dauer ist, reicht die Programmpalette. Noch dunklere Themen werden mit der fröhlichen Sprache des Zirkus kombiniert: Die Sünder, besser gesagt Akrobaten, versuchen dem Fegefeuer zu entkommen. Sie scherzen, singen, klettern, fliegen und jonglieren; der baumlange Sébastien Soldevila, bekannt für seine Diabolo-Jonglage, hat als teuflischer Zeremonienmeister den Vorsitz an diesem verqueren "Jüngsten Tag". Und der gestaltet sich sowohl humorvoll als auch erotisch.

Diese ganz eigene Mischung macht The 7 Fingers hierzulande noch immer zu einer Art Geheimtipp. Im legendären "Spiegelzelt" im New Yorker Stadtteil Manhattan hingegen spielten The 7 Fingers drei Monate lang vor ausverkauftem Haus.

Was wieder einmal zeigt: Der klassische Tierzirkus mit der so manchen aus Kindheitstagen bekannten Sägespäne-Atmosphäre hat an Bedeutung verloren. Nummernprogramm - das war einmal. Beim Cirque Nouveau verschmelzen stattdessen Akrobatik, Musik, Tanz, Schauspiel und Pantomime zu einem Gesamtkunstwerk.

Damit die Atmosphäre in Hamburg ähnlich dicht wird wie im New Yorker "Spiegelzelt", ist das Zelttheater der Fliegenden Bauten eigens für die neue Produktion umgebaut worden: Von der eigentlichen Bühne führt ein Steg zu einer Rundbühne mitten unterm Dach. Tuchakrobatin Isabelle Chassé schwebt quasi direkt aus der Hölle über die Zuschauer.

Und das Hamburger Publikum ist damit der Zeit voraus. Erst Ende November gastieren The 7 Fingers in Salzburg. In der Festspiele-Stadt eröffnen die Frankokanadier dann das große "Winterfest". Was für ein Zirkus!

The 7 Fingers: "La Vie": Karten zu 24,90 auf allen Plätzen, bis 2.10., Di-Sa, jew. 20.00, So 19.00, Fliegende Bauten (U St. Pauli), Glacischaussee 4, Karten zu 32,90 bis 54,90 unter T. 881 41 18 80; www.fliegende-bauten.de