Dominique Pitoiset hat bei seinem “Cyrano de Bergerac“ im Schauspielhaus nur eine Regieidee - und die geht nicht auf.

Hamburg. Nein, das, was man gewöhnlich unter Regietheater versteht, das findet diesmal im Schauspielhaus nicht statt. Dieser "Cyrano von Bergerac", den der französische Regisseur Dominique Pitoiset dort mit dem frech-fröhlichen Dominique Horwitz in der Titelrolle auf die Bühne gebracht hat, erzählt geradlinig die Geschichte des mit einer riesigen Nase ausgestatteten und hoffnungslos verliebten Dichters Cyrano, der als Ghostwriter seine poetischen Gedanken dem schönen, aber ach so dummen Christian leiht, damit dieser Roxanes Liebe gewinnen kann.

Und doch hat die Regie hier eine Idee gehabt, die die Inszenierung dominiert, obwohl sie eigentlich nicht passt. Das Stück, das im 17. Jahrhundert in einem Regiment spielt, findet nun in einer Großküche statt. Strenge Hackordnung und rauer Ton sollen wohl beweisen, dass Küche und Kommiss dasselbe sind. Bei dieser Küchenschlacht wird gebrutzelt, pariert, garniert und sautiert, was das Zeug hält. Anders als in jeder TV-Kochshow riecht man es als Zuschauer auch. Okay, immerhin geht's im Stück ja vor allem um die Nase.

Echtes Leben auf der Bühne hat aber stets einen Beigeschmack. Schließlich weiß man ja, dass da oben nicht wirklich gemordet, geliebt oder gekocht wird. Doch glauben sollte man es können. Und das fällt schwer. Zu abwegig ist das Regiekonzept, zu platt das Spiel der Küchenbrigade, zu blass das verliebte Paar Roxane und Christian.

Die scheinbare Realität liefert wenig Erhellendes, genauso wenig jedenfalls, als hätte man das Stück in ein Fernsehstudio oder eine Großkanzlei verlegt. Cyrano, im Stück ein Schöngeist, ist in dieser Küche Hilfsarbeiter, der Eimer ausleeren und in Gummistiefeln putzen muss. Kein Mann von Geist, Witz und Poesie, keine harmonische Seele im hässlichen Körper, allenfalls ein etwas derber, witziger Kumpel mit aberwitzig großer Nase. Er steht ganz unten. Hat er deshalb Komplexe und fürchtet, dass ihn Roxane niemals lieben könnte? Weiß er, wie ungern Frauen "nach unten" heiraten? Unsinn. All seine Ängste und Hoffnungen müssen durch seine monströse Nase entstehen.

Wer, wenn nicht wir, in unserer von Jugend- und Schönheitswahn geprägten Welt, wüsste nicht, wie wesentlich das Aussehen den Stellenwert eines Menschen definiert. Innere Werte interessieren leider wenig, wenn sie in einem hässlichen Körper ruhen. Früher, zu Zeiten, als Edmond de Rostand sein Drama schrieb, war das vielleicht noch Stoff für eine Tragikomödie. Heute, wo große Teile einer Generation mehr auf Schein als auf Sein stehen, erscheint es normal, wenn man lieber toll aussehen will, als gebildet zu sein. Ach, was hätte man mit diesem Stoff für eine herrliche Komödie inszenieren können!

Abenteuer, Liebe, Hoffnung, Sehnsucht, ein verpfuschtes Leben: Es ist doch alles da, was man für einen aufregenden und anregenden Theaterabend braucht. Hier aber wird eine willkürlich aufgesetzte Idee von der Küche als Experimentierraum verbraten und mit ihr gleich das ganze Stück in die Pfanne gehauen. Alle Mitspieler werden in die Küchenhierarchie gequetscht, ob's passt oder nicht. Eigentlich passt es nie.

Ein Duell wird in der Küche zu einem Wettkampf zwischen Schrubber und Messer, bei dem der Verlierer am Ende einen Apfel in den Mund gerammt bekommt. Den Verband, der danach seine Ohren ziert, behält er bis zum Ende - obwohl doch inzwischen 14 Jahre vergangen sind. Die heimlich geschmuggelten Liebesbriefe hängen hier an Wäscheklammern für alle sichtbar in der Küche herum. Was soll das? Der Ton des mehr als 100 Jahre alten Stückes wirkt antiquiert, das Spiel banal. Mehr als einmal fragt man sich, warum sich Roxane (Anne Schäfer) in den hübschen, aber kreuzbraven, doofen Christian verguckt hat, den Tillbert Strahl-Schäfer derart hölzern gibt, dass man ihm nicht nur einen Ghostwriter wünscht, sondern auch einen Trainer, der ihm etwas von Körperspannung erzählt.

Am Anfang des Abends setzen sich die Köche an den Bühnenrand und erklären, dass sie nun ein Stück spielen werden, den Cyrano. Warum? Man weiß es nicht. In der Küche (Bühne und Kostüme Kattrin Michel) stehen abwechselnd alle mal herum und schauen zu, was die anderen so treiben. Der lüsterne Graf Guiche ist bei Hanns Jörg Krumpholz ein farbloser Holzklotz. Was Juliane Koren in ihren vielen Rollen zeigt, ist zweifellos verzichtbar. Zwischendrin ertönt Musik, ganz französisch mit Trompete und Akkordeon (Peter Baierlein, Christian Gerber).

Die schönste Szene, in der Cyrano Christian die Worte an Roxane souffliert, findet gewöhnlich auf einem Balkon statt. Hier telefoniert man originell und witzig per Skype. Immerhin eine schöne Szene in einer Inszenierung, die ansonsten über das Niveau des Stadttheaters von - sagen wir mal - Braunschweig, nicht hinauskommt (nicht böse sein, liebe Braunschweiger).

Dominique Horwitz allein gebührt das gesamte Lob des Abends. Er spielt, kämpft, tänzelt, betont das Grobkomische ebenso wie die zarten Worte, changiert zwischen vergebens Liebendem und kopfüber Entflammten. Um im Bild der Küche zu bleiben: Er war das Hauptgericht, alles andere Beilage.

Weitere Vorstellungen am 7., 9. und 17. September