Aki Kaurismäkis Film “Le Havre“ über Flüchtlingselend hat am Dienstag im Abaton Hamburg-Premiere. Ein gelungenes Comeback des Regisseurs.

Abaton. Bis zu den Weihnachtsmärchen ist es eigentlich noch eine Weile hin, aber schon morgen kann man einen märchenhaften Film als Preview sehen, der im September in die Kinos kommt. "Le Havre" markiert nach fünf Jahren Pause das gelungene Comeback von Aki Kaurismäki auf die große Leinwand. Der finnische Regisseur bleibt seiner unverwechselbaren Handschrift treu - mit Änderungen in homöopathischen Dosen.

Marcel Marx (André Wilms), ein ehemaliger Bohemien, arbeitet in der nordfranzösischen Stadt als Schuhputzer. Er ist ein genügsamer Mensch mit einer aus seiner Sicht verständlichen Abneigung gegen Turnschuhträger. Karg ist der Lohn, den er nach Hause bringt. Wegen seiner Geldknappheit ist er bei den Ladenbesitzern in seiner Nachbarschaft berüchtigt. Mit seiner gutherzigen und bescheidenen Frau Arletty (Kati Outinen) wohnt er in einfachsten Verhältnissen. Doch dann überschlagen sich im Rahmen des typisch langsamen kaurismäkischen Erzähltempos die Ereignisse geradezu. Seine Frau erkrankt lebensgefährlich, eigentlich sogar hoffnungslos. Das hält sie aber vor ihm geheim, weil er daran zerbrechen könnte.

Dann entdeckt Marx einen afrikanischen Jungen, der sich offensichtlich versteckt. Idrissa (Blondin Miguel) ist mit einem Tross von Flüchtlingen aus Gabun in einem Container angekommen und wollte eigentlich zu seiner Mutter nach England. Sein Flüchtlingselend mobilisiert den Humanismus in Marx. Er versucht alles, um dem Jungen die Reise über den Ärmelkanal zu ermöglichen. Nicht nur er, auch die vorher mürrischen Nachbarn sind plötzlich voller Hilfsbereitschaft und schützen den Jungen vor den Nachforschungen des Kommissars Monet. Er könnte aus einem Film noir entsprungen sein, ist aber nicht so böse, wie es scheint.

Bei der Verfolgung des Jungen legt einer der schwer bewaffneten Polizisten ein Gewehr auf den Unbewaffneten an. So politisch war der sonst eher poetisch veranlagte Regisseur zuvor kaum. Die ungelöste Flüchtlingsfrage, so Kaurismäki, habe ihn zu dem Film inspiriert. Zum ersten Mal seit 20 Jahren drehte er wieder in Frankreich. Einer der Protagonisten in "Das Leben der Bohème" war damals wie heute der von André Wilms unerschütterlich stoisch gespielte Marcel Marx. Als er beim Festival in Cannes gefragt wurde, warum er denn nicht wieder in seiner nordischen Heimat gedreht habe, begründete Kaurismäki das ironisch mit der Glaubwürdigkeit seines Drehbuchs: "Niemand ist so verzweifelt, dass er nach Finnland kommen will."

Vertraut ist die Welt, in die der Regisseur sein Publikum mitnimmt. Es sind wieder die kleinen Leute, die sich im Kaurismäki-Kosmos gegen die Ungerechtigkeiten der Welt aufbäumen. Ihre Wohnungen sind sparsam und mit liebevoller Nostalgie ausgestattet. Seine sonst so wortkargen Protagonisten sind diesmal erstaunlich geschwätzig. Aber die Lakonie geht ihnen natürlich nicht aus. Als der Arzt die kranke Arletty nach der beunruhigenden Diagnose mit den Worten "Wunder geschehen" zu trösten versucht, antwortet sie: "Nicht in meinem Viertel." Einmal erklärt Marx sich kurzerhand zum Onkel des dunkelhäutigen Idrissa. Als die Beamten ihn fragend ansehen, antwortet er: "Ich bin der Albino in der Familie."

Der Film ist ein Märchen der Mitmenschlichkeit und Freundschaft das in Rot- und Blautönen leuchtet, wie man sie auch schon aus "Der Mann ohne Vergangenheit" kennt. Als Kaurismäki für diesen Film vor neun Jahren den Douglas-Sirk-Preis des Filmfests Hamburg gewann, erinnerte er sich daran, dass er sich 1988 bei einem Besuch in der Hansestadt eine tiefe Narbe auf der Stirn zugezogen hatte. Auf die Frage, ob es beim Filmemachen auch um Narben gehe, sagte er: "Das ist es, worum es im Leben geht. Wenn man ohne eine Narbe stirbt, hat man nicht gelebt."

Die Preview läuft morgen im Abaton im französischen Original mit Untertiteln. Es folgt ein Konzert mit Kaurismäkis Lieblingsband Little Bob und dem Sänger Roberto Piazza, die im Film ein Wohltätigkeitskonzert für Idrissa spielen. Sie hatten bereits bei der Premiere in Cannes für Stimmung gesorgt.

"Le Havre" OmU Di 30.8., 20.00, Abaton (Metrobus 4 + 5), Allende-Platz 3, Karten zu 15,-/erm. 14,- (inkl. Konzert) im Vvk.; www.abaton.de