Als engster Vertrauter des Verlegers Axel Springer baute Christian Kracht nach dem Krieg den Konzern mit auf. Jetzt starb er im Alter von 90 Jahren

Hamburg. Christian Kracht ist am 21. August 2011 im Alter von 90 Jahren am Genfer See gestorben. In den 60er-Jahren galt er in der Zeitungsbranche als beneidenswert erfolgreicher Medienmanager. "Zar und Zimmermann", titelte "Der Spiegel" damals einen Artikel: Axel Springer der Zar - genial, allmächtig, glänzend, jedoch auch sprunghaft -, ihm zur Seite aber der methodisch vorgehende Konzernzimmermann Kracht, der die Expansion mit vorantrieb, dann aber aus dem Verlagskonglomerat einen nach modernsten Methoden gesteuerten Großkonzern machte.

Dieser einstmals mit 1,3 Millionen Mark bestbezahlte deutsche Manager ist aber nicht nur als einer der Verlagsheroen des Hauses Springer pressegeschichtlich erinnerungswürdig. Sein Lebenslauf war zugleich typisch für das, was der Musikkritiker Joachim Kaiser "die Generation von 1945" genannt hat, ohne deren rastlose Dynamik das sogenannte Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahrzehnte schwer vorstellbar ist.

Kracht war der typische Selfmademan. 1921 geboren, stammte er aus einer Arbeiterfamilie im holsteinischen Meldorf ("streng sozialdemokratisches Haus"), hatte den Krieg beim Hanseatischen Infanterieregiment 76 mit bloß einer Verwundung überstanden und gehörte zu jenem Millionenheer enttäuschter junger Leute, die in der Trümmerlandschaft erbittert und auch mit etwas schlechtem Gewissen registrierten, dass sie sich von polit-kriminellen Führern hatten einfangen lassen. Was Kaiser eben diese "Generation von 1945" nannte, das waren die Altersjahrgänge, aus denen keine verlorene Generation wurde, sondern die Generation, die schließlich lange Zeit die "alte Bundesrepublik" mit ihrem zupackenden Optimismus voranbrachte.

Kracht war damals schon ein Organisationsgenie, dem allzu viel Bedenklichkeit fremd war. Gerne erzählte er später davon, wie ihm seine Findigkeit auf dem Schwarzmarkt half, im Dezember 1945 bei einem Redaktionsteam anzuheuern, das Hans Zehrer zusammengetrommelt hatte, um im halb zerstörten Hamburger Broschek-Haus im Auftrag der Briten "Die Welt" herauszubringen. In jenen Jahren hat er sich auch an einer Jugendzeitschrift "Benjamin" versucht und dort Wiedergutmachungsaktivitäten der Art "Lasst uns Oradour wieder aufbauen!" initiiert.

Im Frühherbst 1948, kurz nach der Währungsreform, wurde Kracht nach einem persönlichen Einstellungsgespräch mit Axel Springer Lokalredakteur beim Hamburger Abendblatt, das damals wie eine Rakete hochschoss. Dann zog der unstudierte, auch auslandsunkundige Jungjournalist das große Los. Als einer der Ersten erhielt er ein Stipendium zum Studium in den USA. Beim Journalistikstudium an der State University von Montana erfuhr Kracht wie so viele aus seiner Generation eine starke Amerikaprägung.

Danach volontierte er beim "San Francisco Chronicle" und überschüttete seine guten Freunde beim Springer-Verlag im fernen Hamburg mit einer Fülle von Briefen, in denen er seine Beobachtungen zum damals faszinierenden amerikanischen Journalismus mitteilte - mit Durchschlag an Axel Springer, der an dem "Wirbelwind Christian Kracht" einen Narren gefressen hatte und dessen Gehalt weiterzahlte. Als er zurückkehrte, war Kracht einer der damals wenigen im Hause Springer mit frischen Auslandskenntnissen.

Schon 1953 hielt er sich wochenlang in London auf, um beim Kauf der "Welt", die damals noch Eigentum der britischen Regierung war, an den Strippen zu ziehen. Dann holte ihn Springer als persönlichen Assistenten.

Der stets wie sein großes Vorbild Springer elegant gekleidete, zierliche Kracht war nicht der Mann fürs Grobe, sondern für die eher delikaten Aufgaben. Springer mit seinem oft genial-chaotischen Arbeitsstil und seinem sehr bewegten Privatleben brauchte ein gut sortiertes Organisationsgenie an seiner Seite. Bald kannte Kracht alle Verlagsgeheimnisse. Die Nähe zum Verleger zeigte sich auch im Januar 1958, als Springer Kracht nach Moskau mitnahm, wo er Chruschtschow für einen eigenen Wiedervereinigungsplan zu erwärmen gedachte - vergeblich, wie man weiß.

In der ihm eigenen Mischung von Freundlichkeit, Raffinement und hartem Zugreifen lieferte Kracht Ende der 50er-Jahre bei der Übernahme des Hauses Ullstein sein Meisterstück ab. Er hat so seinem Chef, den er verehrte und zugleich scharf taxierte, den Weg nach Berlin geebnet. Als die beiden nach den Vorverhandlungen am Ullsteinkomplex in Tempelhof vorbeifuhren, zeigte Springer darauf und sagte: "Da müssen Sie rein. Es ist Ihr Sandkasten. Ich betrete das Haus nie."

Als Beauftragter Springers für den Berliner Konzern brachte Kracht Ullstein aus den roten Zahlen und durfte jetzt auch aus dem Schatten seines Herrn und Meisters heraustreten. Bisher hatte sich Kracht als Journalist begriffen, jetzt wurde aus ihm der Zeitungsmanager.

Sein Vorbild war damals General Motors, ein Mammutkonzern, der wie das Verlagsimperium Springers aus vielen anfangs selbstständigen Unternehmen zusammengewachsen war. Nach diesem Muster baute Kracht nun das Haus Springer um. 1964 legte er die erste konsolidierte Konzernbilanz vor. In der Funktion eines Generalbevollmächtigten steuerte er den Apparat, während sich der Verleger die großen Entscheidungen vorbehielt. Mit gebündelter Finanzkraft expandierte der zentral geleitete Konzern nach allen Seiten, geriet dabei aber ganz zwangsläufig ins Sperrfeuer der bedrohten anderen Großverleger, doch auch der APO, der SPD-Linken und, wie man weiß, auch der Genossen hinter der Berliner Mauer.

Während sich Axel Springer zusehends politisierte und sich mit den Konkurrenten bei Gruner + Jahr oder mit Augstein heftig fetzte, suchte der eher liberale, primär kaufmännisch interessierte Kracht nach vermittelnden Lösungen, was indessen Springers Misstrauen weckte.

Springers politisches Berlin-Engagement, auch dessen glühenden Einsatz für die Wiedervereinigung, betrachtete Kracht mit Skepsis, und Springer wusste das. Häufig sagte er ihm: "Von Politik verstehen Sie nichts, Christian. Bleiben Sie bei der Kasse."

Die Freundschaft mit Springer zerbrach 1970, als Kracht im Auftrag des Verlegers bemüht war, in Geheimverhandlungen, die natürlich nicht geheim bleiben konnten, den gesamten Verlag an Reinhard Mohn von Bertelsmann zu verkaufen. Wie die Verkaufspanik Springers nach den Osterunruhen 1968 begann, gehörte zu den schönsten Anekdoten Krachts. Der Generalbevollmächtigte holte Springer am Hangar B für Privatmaschinen ab, um die wichtigsten laufenden Dinge zu besprechen. Aschfahl im Gesicht sei Springer aus der Aero Commander geklettert, habe vorgeschlagen: "Lassen Sie uns noch ein wenig um den Hangar gehen." Es habe geregnet, und dann habe Springer gesagt: "Ich habe keine Lust mehr. Suchen Sie einen Käufer. Es muss aber mindestens eine Milliarde rausspringen." Und er fügte hinzu: "Arbeiten Sie geräuschlos." Springer, der eigentlich sein ganzes, heftig angegriffenes Imperium in einem Aufwasch verkaufen wollte, dann aber auch wieder nicht, ließ schließlich das bereits beiderseits abgesegnete Vertragswerk rückgängig machen.

Die geplatzte Fusion von Bertelsmann und Springer war eine der großen Affären in der deutschen Pressegeschichte. Springer, der bei dem Deal einiges Gesicht verloren hatte, beschuldigte nun Kracht, sich bei den Verhandlungen zu weit herausgelehnt zu haben. Natürlich aber wurde in erster Linie ein Sündenbock gesucht. So wurde Kracht sehr unzeremoniös, aber, wie bei Springer üblich, mit fürstlicher Abfindung entlassen, zog sich in die Schweiz zurück und mehrte sein Vermögen als international gefragter Anlageberater.

Doch wie in der Politik gibt es auch im Geschäftsleben keine ewigen Freundschaften oder Feindschaften. 1980, nach dem Ableben von Prinz Reuß, Springers rechter Hand in der Holding, lud dieser Kracht unerwartet nach Schierensee ein. Gleich nach dem Eintreffen abends brachte der Butler zwölf Leitz-Ordner mit Betriebsabrechnungen und Bilanzen in den Gästetrakt. Kracht machte sich alsbald an die Arbeit, und als ihn Springer am Ende der Nacht im Morgenrock mit den Worten aufsuchte "Ich höre Ihnen zu!", hielt ihm Kracht vier Stunden lang einen Vortrag und war wieder in Gnaden angenommen. Kracht, inzwischen ein Unternehmer mit gewichtigen eigenen Interessen, legte zwar Wert auf eine Befristung seiner Tätigkeit, erhielt aber wieder Generalvollmacht.

Drei Jahre hielt das reparierte Verhältnis. Doch bei den Verkaufsbemühungen geriet Kracht erneut in die Misstrauenszone. Er hatte eine große Lösung mit Burda angestrebt, die aber an kartellrechtlichen Schwierigkeiten scheiterte. 1983, zwei Jahre vor Springers Tod, zog sich Kracht wieder in die Schweiz zurück. Die beiden haben sich nie wiedergesehen.

Christian Kracht, dessen Sohn der Schriftsteller gleichen Namens ist, hat Springer um 26 Jahre überlebt. Er blieb lange fit, war unablässig unterwegs und erfreute sich an der Gegenwart, nicht zuletzt an seinen Sammlungen. Gerne erzählte er, Springer habe ihm "in oft nächtelangen Gesprächen Türen zur Kunst geöffnet". Doch von Hamburg, Berlin, Sylt und der alten Bundesrepublik, wo er ein großer Herr gewesen war, sprach er nur noch wie von einem längst versunkenen anderen Leben.

Hans-Peter Schwarz ist Zeithistoriker. Er veröffentlichte 2008 die Biografie "Axel Springer"