Thalia-Mitglied Jens Harzer ist zum zweiten Mal “Schauspieler des Jahres“. Er kann auf der Bühne Momente allergrößter Spannung erzeugen

Hamburg. Das Thalia-Theater hat viele herausragende Schauspieler im Ensemble. Einer von ihnen, Jens Harzer; ist nun von der Zeitschrift "Theater heute" zum "Schauspieler des Jahres" gewählt worden. Für seinen Marquis Posa in Jette Steckels "Don Carlos". Harzer erhält damit innerhalb von drei Jahren zum zweiten Mal diese wichtige Auszeichnung. 2008 wurde er als Arzt Astrow in Jürgen Goschs "Onkel Wanja" am Berliner Deutschen Theater geehrt, eine Aufführung, die im vergangenen Herbst auch beim Hamburger Theaterfestival die Zuschauer begeisterte.

Jens Harzer zählt seit Jahren zu den herausragenden Schauspielern seiner Generation. Kein Wunder. Der schlanke, wie traumverloren die Wahrheit seiner Figuren suchende Darsteller kann viele Widersprüche vereinen. Einerseits ist er ein sehr körperlicher Schauspieler, fiebrig und präsent. Mit kleinsten Gesten zeichnet er seine Figuren, zupft sich am Haar, wippt mit den Füßen, bohrt mit den Zeigefingern an der Stirn herum. Andererseits ist er vergeistigt, ein Kopfschauspieler, legt alle Emphase in die Sprache. Er schleudert die Worte heraus, zögert, kiekst, klagt, heult, mal kalt und herrisch, mal mit hoher, fragender Stimme. So erzeugt er Augenblicke allergrößter Spannung. Man will, man muss ihm einfach zuschauen. Widerspruch zeigt er auch, wenn er scheinbar allein auf der Bühne steht. Wie ein einsames, hochbegabtes Kind, verrenkt, verlegen, verschlossen. Doch gleichzeitig ist Harzer ein großartiger Ensemblespieler. Meist befindet er sich irgendwo zwischen Konzentration und Entäußerung, Demut vor dem Text und völliger Verweigerung.

Wenn man mit ihm spricht, sucht er ausführlich seine Worte. "Ich nähere mich einer Figur fast romantisch", sagt er und die Stimme wird viel tiefer, als man sie von der Bühne kennt. "Es ist immer gut, wenn man eine Grundutopie von der Figur hat. Wenn man an sie glaubt, fast wie ein Kind, ahnt man, spürt man, wie sie ist, was sie will und wie man sie darstellen kann. Man muss diese Utopie verteidigen, auch wenn man sich beim Theater quasi den anderen hingibt, also den Kollegen und dem Regisseur." Dem Marquis Posa allerdings, für den er nun ausgezeichnet wurde, jenem eigensinnigen Idealisten und Intriganten, den Harzer auf des Messers Schneide zwischen Gut und Böse zeigt, als modernen Mann und mit Respekt vor dem alten Text, hat sich der Schauspieler mit Skepsis genähert. "Wie man die Moral, die Ideologie und den hehren Ton umgehen kann, das habe ich gesucht. Mir war sehr schnell klar, dass Posa ein Spieler ist, ein Trickser, voller Taktik und ganz ohne Taktik. Das ist ein Thema, das mich oft bei Figuren begleitet, die Frage danach, wie weit man bereit sein muss, Kompromisse zu schließen. Ich wollte die Figur ganz entschlacken, gestischen Ballast abwerfen und so wenig wie möglich illustrieren."

Harzer ist ein Schauspieler, der oft wie nackt dasteht, ungeschützt, bloßgelegt, ohne Rückhalt. Hoch konzentriert betreibt er seine Spurensuche der Menschendarstellung. Gelegentlich wirkt das künstlich, manieriert, somnambul. Am Thalia-Theater sieht man ihn derzeit als fahrig Haltungen suchenden Peer Gynt, als armen verliebten Streber Malvolio in "Was ihr wollt" und demnächst in der Handke-Uraufführung "Immer noch Sturm".

Harzer gehörte mehr als ein Dutzend Jahre zum Münchner Ensemble von Dieter Dorn. Er lernte dort die alte Schule, sich seinen Rollen über Text und Literatur zu nähern. "Ich habe jeder Figur so viel wie möglich literarisch nachgeforscht", erzählt er. Er hat an der Schaubühne gearbeitet, mit Peter Zadek ("leider nur einmal"), er spielte bei den Salzburger Festspielen und 2001 auch am Schauspielhaus in "Oedipus". Wenige Filme hat er gedreht. "Da bin ich relativ ehrgeizlos", sagt er.

Intendant Joachim Lux, der Harzer 2009 ins Ensemble des Thalia-Theaters holte, sagt: "Ich bewundere ihn. Er geht verantwortungsvoll mit der Sprache um und setzt sich mit modernen Spielweisen und Sehnsüchten auseinander."

Im Moment läuft es ganz gut für das Thalia. "Das Schauspielprogramm der Salzburger Festspiele verdankt seine gute Schlussbilanz, gewichtet nach Mut und Kunstwert, deutscher Hilfe. 'Faust I + II' sowie Handkes 'Immer noch Sturm', in dem Jens Harzer die Hauptrolle spielt, wurden vom Thalia-Theater Hamburg mitproduziert", schrieb die "Wiener Zeitung". Am 3. September beginnt die neue Spielzeit.

Jens Harzer spielt am 8. September wieder in "Don Carlos". Karten gibt es unter T. 32 81 44 44 oder www.thalia-theater.de