Der selbstironische Wolfgang Büscher wanderte 3500 Kilometer von North Dakota bis Texas. Morgen liest er aus seinem Buch “Hartland“.

Literaturhaus. In Oklahoma muss der Wandersmann sich dann tatsächlich beschimpfen lassen, nur weil er per pedes unterwegs ist. "Get yourself a fucking car", brüllt ihm einer zu, und der sitzt natürlich in einem Auto. Niemand geht in Amerika zu Fuß. Highways, Straßenkreuzungslabyrinthe, vielleicht auch übertrieben diensteifrige Sheriffs - wer zu Fuß durch Amerika will, der ist ein Amerika-Depp.

Wolfgang Büscher, 60, hat die gesegnete Gabe, selbstironisch zu sein, und so ist er es selbst, der sich im Prolog seines Buches "Hartland. Zu Fuß durch Amerika" als "Deppen" bezeichnet. Und wenn schon - er ist es zum eigenen Nutzen und dem des Lesers. Erkenntnisgewinn ist nicht selten mit großen Mühen verbunden. Büscher, Journalist ("Die Welt", "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit") und Buchautor ("Deutschland. Eine Reise", "Berlin - Moskau"), gilt zu Recht als einer der besten Reisejournalisten Deutschlands.

Wenn er heute Abend im Literaturhaus sein Buch vorstellt, dann macht er dies mit der Autorität eines Menschen, der durchaus respektheischende Einträge in seinem Reisepass vorzuweisen hat. Nach Moskau ist Büscher auch schon zu Fuß gelaufen. Jetzt also Amerika, von Norden nach Süden. Ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten und, mitunter, begrenzten Freiheitsvorstellungen reist er aus Kanada ein.

Er wird unwirsch in Empfang genommen, als er die Grenze in North Dakota überqueren will. Einer wie er, ein Ausländer mit Gepäck und seltsamen Wanderplänen, muss auf die Grenzer natürlich verdächtig wirken. Und so bricht sich auch die viel gescholtene amerikanische Ignoranz Bahn; mehr noch ist es die gelegentlich hysterische amerikanische Vorsicht und die Angst vor Terroristen, die den Touristen vor eine erste Hürde stellt. Er überspringt sie, betritt Norddakota im Morgenlicht und geht erst mal in den Saloon.

Und dann los: Vom Laufen kann Büscher einfach nicht lassen; auch wenn er sich oft mitnehmen lässt und auf das Verdeck eines Pick-ups springt.

Er schläft in gruseligen Motels und manchmal auch in verlassenen Häusern. Amerika ist vor allem: ein wahnsinnig leeres Land. Büscher geht durch die Great Plains , er durchwandert Iowa, Nebraska, Oklahoma, Kansas, Texas. Die Orte heißen Hartland, Bismarck, Manhattan, El Dorado, Purcell, Muenster, Waco, Schulenberg. Das leere Land, Amerikas mittlerer Westen, wurde dem Kontinent einst von den Pionieren und frühen Siedlern abgerungen.

Büschers Tour führt ihn aufs Land zumeist und immer zu den Leuten. Er lernt alte Einsiedler kennen, Priester, unappetitliche Sheriffs und immer wieder die Nachfahren deutscher Einwanderer. Und manchmal trifft er auch Menschen mit indianischem Blut, sie sind ihm bereits in der Literatur begegnet, die er in verregneten Nächten in traurigen Motels liest. Es sind Reiseberichte wie seiner: Nicht die imaginierten Erfindungen Karl Mays (obwohl die immer erwähnt werden), sondern Abenteuergeschichten und Grenzbegehungen. Prä-ethnologische Untersuchungen wie die des Prinzen Maximilian Alexander Philipp zu Wied-Neuwied, deren Gegenstand die "edlen Wilden" sind, aber auch die für Europäer ungewohnte Flora und Fauna. Wer hatte je einen Bison gesehen, bevor er nach Amerika kam?

Der Prinz bereiste den fremden Kontinent von 1832 bis 1834. Büscher ist fast 170 Jahre später dran, er sieht keine Bisons. Er sieht den Rio Grande, er sieht den Schnee, und er sieht die Prärie. Drei Monate ist er unterwegs, in denen bewältigt er 3500 Kilometer. Die Kälte des Nordens geht über in die Hitze des Südens: Man beneidet ihn nicht immer um die Umstände seiner unkomfortablen Reise.

Aber bisweilen um seine Prosa. Büscher, dessen Texte zahlreich ausgezeichnet wurden, ist ein mehr als nur würdiger Vertreter des literarischen Genres "Reisebeschreibung", der unbedingt kreativ ist bei Wetterbeschreibungen, warum sollen die auch banal sein? "Im späten Winter war ich morgens losgegangen, an einem allerletzten nördlich kühlen Tag - am Mittag war Sommer, heiß, herrisch, mitleidlos. Nicht der höfliche Dr. Sommer von Wien oder Paris oder meinetwegen Boston machte hier seine Aufwartung, der Plains-Sommer preschte heran, ein Kerl mit sonnenverbranntem Nacken und rauen Manieren."

Kansas ist heiß, und es gibt auch Friseure dort. Büscher lässt sich einen Kurzhaarschnitt verpassen, der Friseur stänkert gegen die Regierung in Washington, weiß aber grundsätzlich: "Capitalism is good." Büscher reist durch Gegenwart und Vergangenheit; manchmal spürt er die Einsamkeit menschenleerer Gegenden, meist aber kommt er mit Leuten ins Gespräch.

Als Nicht-Urlauber, sondern genauer Beobachter ist er ein sozialkritischer Porträtist eines widersprüchlichen Landes. Anzunehmen, dass ihm die Amerikaner unverstellt gegenübertreten. Einer sitzt mit der Flinte in seinem Haus und erlegt das Wild in Schussweite. Büscher hat sich verlaufen, der Alte weist den Weg: in die Geisterstadt Hartland. Früher hieß sie Heartland, jetzt erzählt ihre Verlassenheit von geplatzten Träumen.

Amerika ist hart.

Wolfgang Büscher liest Do 18.8., 20.00, Literaturhaus (Metrobus 6), Schwanenwik 38. Eintritt 10,-/8,-/6,-; www.literaturhaus-hamburg.de

Wolfgang Büscher: "Hartland". Rowohlt. 304 S., 19,95 Euro