Eine Neunjährige aus Marxen singt diesen Sommer in der Londoner Musicalproduktion an der Hamburgischen Staatsoper das Solostück “Santa Evita“.

Staatsoper. Neben dem weißen Himmelbett hängt eine Pinnwand, gespickt mit Zeitungsartikeln. Darauf ist immer ein Mädchen mit zwei geflochtenen Zöpfen und Glitzerspängchen im Haar zu sehen. Auf einem lächelt sie stolz in die Kamera. Hinter ihr steht eine Dame mit Diamantcollier und weißem, bodenlangen Ballkleid. Ihre Hände ruhen auf den Schultern des Mädchens, ihr Blick ist dramatisch und stolz in die Ferne gerichtet.

Die Dame ist Abigail Jaye, Darstellerin der Maria Eva Duarte in Andrew Lloyd Webbers Musical "Evita". Das Mädchen heißt Silja Timm, ist neun Jahre alt und kommt aus Marxen, einer Gemeinde im Landkreis Harburg. Die beiden sind sozusagen Kolleginnen.

In der Hamburgischen Staatsoper beim Gastspiel der Londoner West-End-Produktion sang die Grundschülerin bereits im vorigen Sommer das Solostück "Santa Evita". Von heute an gastiert die gefeierte "Evita"-Produktion erneut an der Dammtorstraße - und auch Silja ist wieder mit dabei. Für eineinhalb Minuten wird sie wieder ganz allein auf der großen, perfekt ausgeleuchteten Bühne vor fast 1700 Zuschauern stehen und ihr Solo singen.

Siljas Leben wie im Traum beginnt vor ziemlich genau einem Jahr, als ihre Mutter Angela Timm wie jeden Morgen in der Zeitung blättert. Da bemerkt die Grundschülerin, die leidenschaftlich gern Ballett tanzt und im Schulchor singt, einen Artikel: Für die Besetzung der einzigen Kinderrolle mit Gesangspart bei der Aufführung von "Evita" werde es ein öffentliches Casting geben. Gesucht würden Mädchen zwischen sechs und elf Jahren, die nicht größer als 1,40 Meter sind. Silja will sofort mitmachen. Sie schnappt sich ihr Diddlina-Briefpapier und fängt an zu schreiben. "Ich habe ganz viel Freude an Musik und möchte gern bei ,Evita' mitsingen" endet der Brief. Silja ist nicht die Einzige, die sich bewirbt. Hunderte von kleinen Mädchen träumen davon, beim Casting in der Staatsoper entdeckt zu werden, aber nur 17 werden zum Vorsingen eingeladen, darunter die Grundschülerin aus Marxen.

Robert Steadman, musikalischer Leiter der Produktion und enger Freund von Musicalkomponist Andrew Lloyd Webber, ist begeistert von Siljas gesanglichem Talent. Zwei Wochen später kommt die gute Nachricht per E-Mail: Silja hat die Rolle. Das kleine Mädchen darf in Hamburg singen.

Weil es zu anstrengend für Silja wäre, an jeder Aufführung teilzunehmen, singen den Part an manchen Abenden Mädchen aus dem Hamburger Kinderchor Alsterspatzen. Sechs Neun- bis Elfjährige, die bereits im Vorjahr dabei waren, werden an je zwei aufeinanderfolgenden Abenden auf der Bühne stehen. Sie hat Steadman mit Alsterspatzen-Leiter Jürgen Luhn ausgewählt.

Silja, die wie die Maria Eva Duarte aus der Provinz kommt, träumt nachts schon davon, dass sie selbst Evita ist und bedürftigen Menschen und Kindern hilft. Fragt man die Neunjährige, was sie einmal werden will, weiß sie das noch nicht genau. "Ich überlege ja manchmal, aber ich komm' nicht drauf", sagt Silja mit empörter Verzweiflung. Sie möchte so vieles - in einem Film würde sie gern mitspielen oder aber Postbeamtin werden wie die Mutter. Sie sitzt in ihrem aufgeräumten Zimmer auf dem Boden. Auf dem Schreibtisch unter dem Fenster mit Blick auf die benachbarte Pferdekoppel liegt ihr Zeugnis, mit lauter Einsen und einer Zwei, in Werken.

Silja hat einfach Freude am Leben, an der Schule, am Tanzen, am Musizieren und am Spielen, mit ihrer Mutter, ihrem Vater, dem sechsjährigen Bruder Tobi und ihren Freundinnen. Eine Kostprobe ihres Gesangs möchte sie privat lieber nicht geben. Da müssten wir schon in die Staatsoper kommen. Zwei- bis maximal fünfmal wird Silja bis zum 21. August auf der Bühne stehen und "Santa Evita" singen. Vielleicht ist das ja der Anfang einer großen Karriere.

Evita Di 9.8.-So 21.8., 20.00 (außer Mo; Sa u. So auch 15.00), Hamburgische Staatsoper (U Gänsemarkt), Dammtorstr. 28, Karten zu 13,60 bis 85,- unter der HA-Tickethotline T. 30 30 98 98; www.hamburgische-staatsoper.de