Für das kleine schleswig-holsteinische Dorf Wacken und Heavy-Metal-Fans aus aller Welt hat das Musik-Ereignis des Jahres begonnen.

Wacken. "Wenn du ein Gebet möchtest, dann sprich uns an." Zwar ist das Wacken Open Air das weltweit größte Metal-Festival, doch das Klischee vom internationalen Treffen langhaariger Satansanbeter wird nicht nur durch diesen Zettel am Stand der "Street Church" ad absurdum geführt. Ein riesiger Stapel Metal-Bibeln liegt da, Auszüge aus dem Neuen Testament, angereichert durch Glaubensbekenntnisse von Stars wie Iron-Maiden-Schlagzeuger Nicko McBrain und Ex-Korn-Gitarrist Brian Welch.

Trotz all der Pentagramme und umgedrehten Kreuze, die viele der 75 000 Besucher auf T-Shirts tragen: Wenn selbst Ozzy Osbourne, früher Frontmann der als satanistisch verschrienen Band Black Sabbath, sich bei seinem Auftritt mit einem herzlichen "God Bless You!" verabschiedet, hat der Leibhaftige in Wacken schlechte Karten.

Was zur wieder mal extrem friedfertigen Stimmung passt, die aus dem WOA (Wacken Open Air) längst eine Art Woodstock für Metalheads hat werden lassen. Hier regiert die Feierlaune, wird über alle Sprachbarrieren hinweg zusammen gefeiert.

Zum Beispiel bei Mambo Kurt, der jeden Tag Metalklassiker auf der Hammondorgel intoniert oder bei Onkel Tom, der von "Schnaps, das war sein letztes Wort" bis "Es gibt kein Bier auf Hawaii" allerlei Schlagergut durch den Stromgitarren-Fleischwolf jagt. Auch wenn die Nächte extrem kurz sind und die Campingplätze nach Konzertende zur kollektiven Partyzone werden.

Sobald sich um 11 Uhr morgens die Tore zum Infield öffnen, strömen wieder Zehntausende zu den Bühnen, auf denen sich mit Judas Priest, Motörhead und Apocalyptica die Champions League der Szene die Mikros in die Hand gibt. Ein "Blechbrötchen" (Dose Bier) zum Frühstück - und schon geht's weiter. Für Schönheitsschlaf ist bei diesem dicht gepackten Programm mit rund 100 Bands jedenfalls keine Zeit.

Schon gar nicht für all die Fans, die aus Brasilien und Japan, aus den USA und Australien angereist sind, um sich ihren Wacken-Traum zu erfüllen. "Ich war im Himmel", hat der kanadische Dokumentarfilm-Regisseur Sam Dunn über seinen ersten Wacken-Trip gesagt. So dürften viele empfinden, die dieser Tage in die 1200-Einwohner-Gemeinde gekommen sind. Ob sie am Stand der "Street Church" zu Jesus, diesem "radikalen, mutigen, langhaarigen Rebell" (Metal-Bibel), finden oder sich einfach nur durch die vier alltagsbefreiten Tage treiben lassen.(hot)

"Louder than Hell" und gutes Wetter

Pünktlich zu Beginn des „Wacken Open Air 2011“ (W:O:A) hat am Donnerstag der Dauerregen ausgesetzt: Nach einer halben Stunde Rock-Musik „louder than hell“ brach sogar die Sonne hinter der Wolkendecke hervor. „Petrus ist ein Metaler“, jubelte Wacken-Gründer Thomas Jensen ins Mikro. Mit „Feel the Beats“ starteten Zehntausende begeisterte Metal-Fans unter dem schwarz-weißen W:O:A-Wahrzeichen – einem skelettierten Rinderschädel mit Hörnern – das weltgrößte Heavy-Metal-Festival.

Die 75 000 Karten für das W:O:A waren schon seit Monaten ausverkauft. Doch nicht jeder, der aufs Festivalgelände kam, schaffte es, bis zum Auftritt der ersten Band auf den Beinen zu bleiben. Sie schnarchten seelenruhig auf dem nassen Boden, während die Band Skyline gemeinsam mit Deutschlands „Metal-Queen“ Doro Pesch mit einer Lautstärke von bis zu 120 Dezibel rockten und auch noch, als der Comedian Bülent Ceylan beim restlichen Publikum für Stimmung sorgte.

Ein lautstarkes Lebensgefühl - Das Geheimnis von Wacken

Zu dem dreitägigen Spektakel werden insgesamt mehr als 120 Bands und Künstler sowie 75 000 Besucher aus dem In- und Ausland erwartet. Sie werden das kleine Dorf Wacken bis Sonntag zum internationalen Zentrum der Szene machen. Zu den Höhepunkten des W:O:A gehört in diesem Jahr neben Auftritten von Stars wie Motörhead und Judas Priest eine 90-minütige Bühnenshow von Ozzy Osbourne (61), dem „Godfather of Metal“. Der 61-Jährige wurde einst als Lead-Sänger bei Black Sabbath bekannt – der britischen Band, die als Mitbegründer des Heavy Metal gilt. In Wacken spielen aber auch viele Newcomer.

Mindestens genauso wichtig wie die Musik ist die Atmosphäre. Schon am Vortag hatten zahlreiche Besucher auf einer Art Warmup-Party mit der Feier begonnen. Sie wollten sich den Auftritt der örtlichen Feuerwehrkapelle nicht entgehen lassen. Als „W:O:A Firefighters“ macht sie traditionell 20 Stunden vor dem offiziellen Start mit klassischer Biergartenmusik Stimmung, in diesem Jahr zum Kummer vieler Fans jedoch nicht in Uniform.

Statt zünftiger Schunkelmusik ertönte dabei trompetegeblasenes „Smoke on the Water“ oder „Highway to Hell“. Viele der sogenannten Headbanger murrten leise darüber, doch sie schüttelten trotzdem den Kopf mit fliegenden Haaren im Rhythmus der Blasmusik. Die „W:O:A Firefighters“ sind eben Kult. Sie spielen während des dreitägigen Festes immer wieder im sogenannten Biergarten auf.

Kultstatus haben auch die Auftritte von Mambo Kurt aus Bochum. Auf seiner Heimorgel interpretiert der Alleinunterhalter seit Jahren respektlos Hits der Hard-Rock-Szene. Er füllt auf dem W:O:A mit seinen Versionen der Songs von Rammstein, Van Halen oder Saxon stets ein riesiges Zelt.

Das W:O:A wurde 1990 ganz unspektakulär von zwei Wackener Heavy-Metal-Fans ins Leben gerufen. Sie wollten dem ihrer Meinung nach schlechten, regionalen Musikangebot für Jugendliche etwas entgegensetzen. Das erste Festival lockte gerade einmal 300 Jugendliche auf eine kleine Koppel. Die lauten Amateurbands stammten alle aus der Nachbarschaft. Heute kommen die Bands aus der ganzen Welt und spielen vor internationalem Publikum.

Trotz der zum Teil äußerst aggressiv formulierten und Gewalt verherrlichenden Texte gilt das W:O:A Polizeiangaben zufolge als „zumeist ausgelassen und friedlich“. Die Einsatzkräfte mussten seit den Anfängen des jährlichen Spektakels vor 22 Jahren lediglich bei Streitereien und Schlägereien unter Betrunkenen eingreifen. Auch Wackens Dorfbewohner sind nach 16 Jahren Festival-Erfahrung von der Friedfertigkeit der kriegerisch anmutenden „Metaller“ überzeugt. Streitereien oder handfeste Schlägereien liegen auf dem WOA deutlich unter dem „normalen“ Zeltfest-Durchschnitt, so ihr Fazit.