Kultur trifft Natur: Jenseits ausgetretener Pfade sind die Sommerlichen Musiktage in Hitzacker zu einem der spannendsten Festivals geworden.

Hitzacker. Rund 400 Menschen stapfen durch die saftig grüne Auenlandschaft bei Gartow im Wendland. Der Schweiß rinnt, die Sonne brennt. Und oben auf dem Baumwipfel klappert ein Storchenpaar - vielleicht als Antwort auf das Saitengezwitscher von Patricia Kopatchinskaja: Die moldawische Geigerin und ihre Kollegen erquicken die rüstige Wandertruppe an vier Stationen. Als Wegzehrung gibt es Stücke von Say, Bartok und Beethoven.

Dieses Miteinander von Kultur und Natur gehört zu den Markenzeichen der Sommerlichen Musiktage Hitzacker - so wie beim traditionellen "Festival-Walk" am vergangenen Sonnabend. Der Spaziergang erstreckte sich über mehr als zehn Kilometer, dauerte rund sechs Stunden und führte über Feld und Wiesen, über Stock und Stein. Ein Sinnbild für den Geist des Festivals. Denn der scheidende Intendant Markus Fein liebt es, sein Publikum herauszufordern und abseits der ausgetretenen Pfade zu wandeln, immer auf der Suche nach neuen, spannenden Programmideen. In diesem Jahr umkreiste er das Motto "Familienbande" aus verschiedenen Blickwinkeln. Zur Eröffnung zerpflückte Nike Wagner genüsslich den Mythos ihres eigenen Wagner-Clans; der musikalisch-literarische "Tag mit den Mendelssohns" beleuchtete die geistesgeschichtliche Bedeutung der Familie.

Trotz solcher Ausflüge in die Wissenschaft sind die begleitenden "Hörer-Akademien" in Hitzacker alles andere als Spaßbremsen-Seminare: Markus Fein vereint fachliche Kompetenz mit leidenschaftlicher Entdeckerfreude. Wie er sich, unterstützt von Landkarten, Fotos und historischen Aufnahmen, eloquent an das Umfeld des rumänischen Komponisten George Enescu heranpirschte, wie er gemeinsam mit Patricia Kopatchinskaja und der Pianistin Mihaela Ursuleasa in Enescus dritte Violinsonate eintauchte und dabei förmlich vor Begeisterung glühte - das hatte ein riesiges Ansteckungspotenzial. Nennen wir ihn also einfach mal den besten Musikvermittler der Republik. Sir Simon Rattle und seine Berliner Philharmoniker werden mit ihrem neuen Dramaturgen sicher noch viel Freude haben.

Der promovierte Musikwissenschaftler bastelt jedoch nicht bloß anregende Programme, er besitzt auch ein feines Händchen für die Künstlerauswahl. Diesmal hatte er passenderweise einige namhafte Interpreten samt ihren Familien eingeladen. Die Gambistin Hille Perl spielte mit ihrem Partner, zwei Töchtern und Schwiegersohn Werke von komponierenden Vätern und Söhnen aus Renaissance und Barock. Und die bereits erwähnte Teufelsgeigerin Patricia Kopatchinskaja entzündete mit ihren Eltern das Feuer der moldawischen Volksmusik - ein Höhepunkt der 66. Sommerlichen Musiktage im verträumten Städtchen Hitzacker mit seinem wunderschönen Elbblick.

Zu den vielen jungen Musikern, die Markus Fein im Laufe der Zeit engagiert hat, gehört auch Carolin Widmann. Die charismatische Geigerin, Jahrgang 1976, war bereits dreimal zu Gast und tritt nun seine Nachfolge als Künstlerische Leiterin an.

Kein leichtes Erbe, schließlich hat er die "Sommerlichen" zu einem der spannendsten Festivals gemacht und dabei binnen zehn Jahren die Abonnentenzahlen vervierfacht. Aber das sieht sie nicht als Bürde, sondern als Chance. Carolin Widmann bekennt sich als Geistesverwandte ihres Vorgängers: "Mich haben die Programme hier in Hitzacker jedes Mal fasziniert. Es war nie so ein zusammengewürfeltes Stückwerk, sondern hatte immer einen roten Faden. Genau das ist es, was mich selber auch reizt!"

Im Abschlusskonzert - bei dem Markus Fein mit stehenden Ovationen gefeiert wurde - übernahm Carolin Widmann das Staffelholz und gab gleich einen kleinen Vorgeschmack: Vor der Aufführung des Schubert-Oktetts fräste sie die harschen Töne von Berios "Sequenza VIII" aus den Saiten. Auch die neue Intendantin setzt auf die Begegnung von bekannten und modernen Klängen und wird ihrer Festivalfamilie manche Nuss zu knacken geben. Die Sommerlichen Musiktage bleiben also ein Ort der lustvollen Herausforderung.