Die Zeit vor der Primetime ist die Dauerbaustelle der ARD. Ab Herbst will sie dort mit “Schmunzelkrimis“ punkten

Hamburg. Man stelle sich mal vor, im hintersten Winkel der Fantasie: Es gäbe das "Großstadtrevier" nicht mehr. Bestünde da Anlass zur Sorge, dass die ARD am Vorabend mangels Beachtung bis zur "Tagesschau" gleich das Testbild zeigt? Abseits der Hamburger Polizeiwache fehlt dem Sendeplatz schließlich jedes Profil, alle Relevanz, ein Markenkern. Man stelle sich also vor, sie existierte auch fiktional nicht.

Frank Beckmann möchte sich das lieber nicht vorstellen. Hört man den Vorabendkoordinator des Ersten reden, scheint sich in der "Access-Primetime", wie die Stunden vor den Hauptnachrichten im PR-Deutsch heißen, alles um die erfolgreiche Serie zu drehen mit ihrer stabilen Quote und Fangemeinde. In Zukunft soll das Konzept auch bei anderen Sendungen funktionieren: spannend, humorvoll, regional verwurzelt, mit Stars von Christian Tramitz bis Christine Neubauer - so will Beckmann alle Wochentage zur selben Zeit füllen.

Der Schlüssel heißt "Schmunzelkrimis". Vier Serien vom Nordseestrand bis zum Alpenrand werden derzeit produziert. Sie heißen "Hubert & Staller", "München 7" oder "Henker und Richter". Und auch in Husum wird's lustig: "Nordisch herb" heißt die NDR-Produktion. Sie lässt den drögen Küstenbullen Petersen (Frank Vockroth) mit der flippigen Berlinerin Nora (Loretta Stern) aneinanderrasseln. Stadt trifft Land - das klingt nicht gerade innovativ. ZDF-Programmchef Thomas Bellut ätzte auch gleich, all das sei "ein wenig abgekupfert von dem, was wir bereits zeigen". Aber dass Handlungsbedarf besteht, wird auch er nicht bestreiten. Denn der lukrative Sendeplatz ab 18.50 Uhr ist ein Grab: für Quoten, für Ideen, für das Niveau. Und so hat die ARD nichts unversucht gelassen, um dort, wo sie nur drei Prozent ihres Gesamtertrags erwirtschaftet, konkurrenzfähig zu sein. Doch gegen Gesamtmarktführer ZDF und Zielgruppenprimus RTL ging alles in die Hose.

Nach der guten, aber ignorierten Daily "Zwei Engel für Amor", deren Publikum auch noch eine Generation über der Zielgruppe lag, liefen Ex-Programmchef Günter Struve und sein Vorabendchef Gerhard Fuchs förmlich Amok. Fast hilflos wärmten sie "Verstehen Sie Spaß?" und Harald Schmidts Raterei "Psst ..." auf. Und mit der Knallcharge Bruce oder der Kuppelsause "Ich weiß, was gut für dich ist" verspielte die ARD fortan den letzten Rest vorabendlichen Anstands. Als dann auch noch Jörg Pilawa seinen Quizmasterstuhl für den konturlosen Florian Weber räumte, lag der Vorabend vollends in Scherben. Daran ändert das Aus von "Marienhof" samt Verdoppelung der zweiten Soap auf "Verbotene Liebe XL" wenig.

Und so wirft man eben mit Geld um sich. Wenn Kai Pflaume bald zum Gernerationen-Quiz bittet und Thomas Gottschalk ab 2012 zum täglichen Talk, dürften die Einkünfte jener 20 Minuten Reklame, die öffentlich-rechtlich pro Tag geschaltet werden dürfen, allein durchs Honorar draufgehen. Zu dumm, dass dem jungen Publikum selbst dieser Einsatz egal ist. Denn wenn es wie zu erwarten auch in Zukunft fernbleibt, liegt das weniger an den Formaten als an der Struktur: Die werberelevante Zielgruppe meidet den Vorabend im Ersten offenbar aus Prinzip. Umso lustiger, dass man sich ausgerechnet bei den vergreisten Dritten Programmen Synergieeffekte erhofft. Als koproduzierende Zweitverwerter der Schmunzelkrimis finanzieren die Landeshäuser jede Staffel mit dem Gegenwert eines Fernsehfilms, immerhin rund eine Million Euro, so heißt es. Reichlich Holz für heiteren Spürsinn in der Endlosschleife. Da ist das "Großstadtrevier" billiger.