Georg Meier war früher Herumtreiber, Kneipier und Koch. Jetzt, mit 63 Jahren, schreibt der Hamburger sein Leben auf - wild und unverstellt.

Hamburg. Der Hamburger Schriftsteller Georg Meier genießt höchstes Ansehen bei seinem Verlag. Der ist klein, fein und sitzt in Berlin. Der Verleger Volker Dittrich geht gerne mit Meiers Büchern auf Lesereise, bald kommt er zum "Literatur-Quickie" in den Feldstern. Das ist eine erfolgreiche Veranstaltungsreihe, in der seit einigen Jahren die lokale Literaturszene mal eben schnell und zwischendurch aus ihren Werken liest. Ein flüchtiges Vergnügen, knallhart und auf den Punkt. Nach 17 Minuten ist Schluss.

17 Minuten: Das ist nichts gegen ein Leben und ein literarisches Werk, und auch nichts gegen die 60 Jahre, die Meier brauchte, um sein erstes Buch zu veröffentlichen. Die Pressedame des Verlags sagt am Telefon, Meier sei mal Hippie gewesen und dann lange Zeit Kneipier. Jetzt lebe er in einer Villa.

Ein Hippie, der es bis nach Indien geschafft hat, gerne Haschisch rauchte und einmal, in tagelanger Fahrt, mit der grünen Minna von einem Hamburger Gefängnis in eines nach Gießen gebracht wurde; ein zeitweise als Obdachloser auf Straßen vagabundierender Mann, der Kneipier wurde und Restaurantbesitzer, der jetzt in einem schönen Haus wohnt und auf seine alten Tage jedes Jahr ein Buch veröffentlicht: Klingt nach einer guten Geschichte.

Georg Meier, 63, steckt sich erstmal eine filterlose Zigarette an und sagt: "Ich habe geschrieben, seit ich 13 oder 14 war. Aber als damals, Anfang der Achtziger, 20 Verlage meine Gedichte nicht veröffentlichen wollten, dachte ich: Dann halt nicht. Bin ich halt kein Schriftsteller." Meier ist kein sonderlich großer Mann, vielleicht ist seine Frau Cora aber auch einfach nur eine ziemlich große Frau, sie steht im schönen Esszimmer der Meiers direkt neben ihm. Unter durchaus hohen Decken, die Fenster sind großzügig und blicken auf eine von gediegen grünenden Bäumen gesäumte Straße in Hoheluft-West. Eine Villa ist das nicht, aber ein herrliches, geräumiges Bürgerhaus mit Stuck, Kunst an den Wänden und gut gefüllten Bücherregalen. Das Heim eines Schriftstellers, der nicht spätberufen, aber spät gerufen wurde.

Geboren wurde Meier (ein Mann, der so lässig wie ein Pennäler T-Shirt und Jeans trägt, ohne dabei verzweifelt jugendlich zu wirken) als Sohn eines Schrotthändlers 1947 in Gießen. Nachkriegskindheit, Abbruch der Realschule, Kochlehre. Dann der Aufbruch, als langhaariger Jungmann mit Freiheitsdrang trieb es ihn hinaus in die Welt.

"Ich wurde ein Gammler", sagt Meier. Dann lacht er, so wie nur manche erwachsen oder alt gewordene Menschen lachen, wenn sie auf das zurückschauen, was der Volksmund "Jugendsünden" nennt. Cora Meier lacht übrigens immer nach Kräften mit; überhaupt ist ihre Anwesenheit an diesem Juli-Nachmittag ein willkommener Resonanzraum für Georg Meiers Erzählungen, die sie wahrscheinlich schon tausendmal gehört und gelesen hat, ohne sie je langweilig zu finden.

Vor drei Jahren veröffentlichte Meier "Alle waren in Woodstock, außer mir und den Beatles", sein erstes von bislang vier Büchern, mit dem er, wie er unbescheiden sagt, " den Roman über die 60er-Jahre" schreiben wollte.

Ein wildes Buch, das, wie auch manche der Kurzgeschichten in Meiers jüngstem Erzählband "Kein weiter Weg vom Puddingshop zum Père Lachaise", vom Unterwegssein, von '68, vom Drogennehmen, vom Aufbegehren der Jugend in der Provinz erzählt. Flott geschrieben, unverstellt, schnörkellos, dabei ausufernd vor Fabulierlust und erzählerischen Wucherungen. Meier ist kein Stilist. Aber er hat vom Leben reichlich gekostet, und er kann dieses Leben erzählen, wenn er von der Selbstfindung eines Schelms berichtet.

Literaturexperten schreien "Fauser!" oder "Bukowski!", wenn sie Meiers Abgerissen-in-Istanbul-Geschichten lesen oder sein Obszönitäten-Festival mit Macho-Gütesiegel besuchen. Meier selbst sagt nach drei in der schicken Küche gebrühten Espressi mit dem Selbstbewusstsein des Doch-noch-Schriftstellers: "Ich schreibe nicht wie jemand anderes, ich schreibe wie ich selbst." Er ist kein Intellektueller mit akademischem Hintergrund, seine Belesenheit ist die des altmodischen, poetischen Connaisseurs. Einmal, in seiner wilden Phase, strich der Herumtreiber Georg Meier mit einem zerfledderten Gedichtband Gottfried Benns in der Tasche des Parkas durch die Straßen Hamburgs. Dort hielt er sich in seinen Wanderjahren oft auf, sie dauerten von 1966 bis 1972. Die Polizei kassierte den jungen Mann ein, der sich im Rückblick immer noch stolz als einen Hippie bezeichnet, der er war: arbeitsscheu und willens, viel herumzukommen. "Ich hatte keinen festen Wohnsitz, deswegen wurde ich festgenommen. Und angeblich hatte ich das Benn-Buch gestohlen", erinnert sich Meier.

Andere Zeiten, andere Gepflogenheiten. Wer lange Haare trug, den hatten die Autoritäten auf dem Kieker. Die Vergangenheit ist versunken im Meer der Jahre, und wenn Meier sie augenblicksweise nach oben holt, dann tut er das schnoddrig und nie pathetisch. Der berühmte Kuppelei-Paragraf? Schon gar nicht mehr wahr, aber jede Anekdote wert. Meier lernte Cora Anfang der 70er-Jahre kennen, da war er schon lange auf Trebe, er hatte Marseille, London, Barcelona kennengelernt, Geld zum Überleben als Dealer verdient.

Sie trafen sich auf der "Haschwiese" in Gießen (man wusste auch im Hessischen die Wirkung eines Joints zu schätzen), Cora war 15. Und sie hatte eine - untypisch - tolerante Mutter, die sie mit Meier gehen ließ. Nach Indien. Danach war Schluss mit dem Reisen, sagt Meier. Er wollte erwachsen werden. Zunächst arbeitete er in einer Drogenberatungsstelle, dann machte er mit Cora in Limburg eine Kneipe auf. Aber es war ihnen in der Provinz zu spießig.

Sie gingen nach Hamburg und eröffneten am Eppendorfer Weg zunächst das "Hooker". Zur Institution wurde erst die Kneipe "Holzwurm", in der die Meiers bis früh am Morgen Hamburgs Nachtschwärmer bewirteten. Später betrieb der Schriftsteller das Restaurant "Abendroth". "Ich bin ja gelernter Koch", sagt Meier.

Und ein früher Hamburg-Fan. Im Winter 67/68 schlief der "Gammler" meist im Studentenhaus im Grindelviertel. Meier ging mit auf die Studenten-Demos, und er weiß noch genau, wie kalt es in jenem Winter war. Aber er mochte die Stadt, er arbeitete im Hafen und lebte von der Hand in den Mund.

Und jetzt? Wohnt Meier fast schon feudal, dort, wo er früher ohne festen Wohnsitz durch die Straßen strich.

Er hat seine Geschichten oft hinterm Tresen erzählt, und jetzt schreibt er sie auf. 1998 verkauften sie ihr Restaurant, seitdem produziert Meier Literatur. Das Ehepaar hatte viele Jahre hart gearbeitet und finanziell ausgesorgt, nun reüssiert er als Schriftsteller. Was ist das, eine irgendwie rührende Erfolgsgeschichte, die vom späten Glück berichtet? Vielleicht. Georg Meier stottert seit seiner Kindheit mehr oder weniger stark, die Worte gehorchen ihm nicht immer. Auf dem Papier fließen sie dahin, von Gießen nach Istanbul und von Indien nach Hamburg.