Eine Betrachtung von Thomas Andre

Neulich fielen einem doch tatsächlich wieder mal die "Buddenbrooks" in die Hände, Thomas Manns großer Gesellschaftsroman: Als er erschien, war der Lübecker Patriziersohn 26. Und mit der Niederschrift begonnen hatte er, da war er grade einmal 21. 21! Wem würde man denn eigentlich seriöserweise zugestehen, einen großen Roman über unsere Zeit zu schreiben? Bestimmt keinem derart jungen Autor.

Nee, graue Haare muss er schon haben - oder wenigstens Haarausfall. Nur Genies wie Thomas Mann dürfen in der Blüte ihrer jungen Jahre zum großen Wurf ausholen. Sie stechen ja heraus aus der Masse, sie zählen zu den Besten der Literaturgeschichte. Aber jetzt mal abgesehen von den Meistererzählern: Gute Literatur kennt grundsätzlich keine Unterschiede bezüglich des Alters ihrer Urheber. Aber genauso wie beim Wein kann eine gewisse Reife der Autoren doch nur von Vorteil sein - siehe spätberufene Debütanten wie Louis Begley oder Ingrid Noll.

Und wie eindrucksvoll bitte ist die Liste der Schriftsteller, die ihre besten Bücher schrieben, als man sie längst nicht mehr jung nennen konnte - Don DeLillo, Philip Roth, Knut Hamsun, Alfred Döblin usw., usf.; und die Zahl derer, die jahrzehntelang vor sich hin schreiben, ohne zu veröffentlichen, ist noch größer. Manchmal findet sich dann im Herbst des Lebens ein Verlag, und dann erscheint ein Buch, das einen späten Dichter beschenkt.