Duisburger Museum wirkt wie Verwandter der Elbphilharmonie: Hier wie dort wollen die Architekten Herzog & de Meuron spektakulär aufpeppen.

Briefbeschwerer, diese Bezeichnung hätten sie noch nicht gehört, erwidert die Dame vom Museum Küppersmühle. Ihr Lächeln bei der kurzen Fahrstuhlfahrt zum Büro des Direktors wirkt leicht gequält. Wer den Schaden hat, kriegt den Spott ja gleich mitgeliefert. Der Schaden ist unübersehbar. Er steht direkt neben dem umgebauten Getreidesilo am Duisburger Innenhafen: ein Stahl-Kubus, 55 Meter lang, 30 Meter breit, 17 Meter hoch. Sehr groß und bis auf Weiteres sehr nutzlos. Denn wegen Pfuschs am Bau und einer Explosion der Kosten wurde der Bau gestoppt.

Anfangs sollte er etwa 30 Millionen Euro kosten, schon das wäre ein stolzer Preis. Eigentlich hätten die Baufirma diesen Erweiterungsbau im Sommer 2010 mit einer mehrtägigen Hubzeremonie in 35 Meter Höhe wuchten wollen, um darin Prachtstücke aus der Privatsammlung von Sylvia und Ulrich Ströher zu zeigen, die man bislang aus Platzmangel nur in kleinen Teilen präsentieren konnte. Handverlesene westdeutsche Nachkriegskunst residiert hier in eleganten Räumen. Viele große Namen, Richters, Polkes, Baselitze, kombiniert mit anspruchsvollen Wechselausstellungen.

Champions League, wo sie der Gast aus der selbst ernannten Kulturmetropole Hamburg nicht vermutet hätte. Fast 40 000 Besucher kommen schon jetzt jährlich.

Dann wäre alles gut gewesen und Duisburg mit diesem Kunst-Container um eine Kulturattraktion, ach was: ein Wahrzeichen mit nachhaltiger Strahlkraft reicher, am Innenhafen gelegen, dem kein Geringerer als der Reichstagskuppel-Erbauer Sir Norman Foster ein Gebäude-Ensemble für Kreativwirtschaftler und Besserverdienende an die Promenaden gewürfelt hatte. Früher sei hier Wüste gewesen, berichtet Museumsdirektor Walter Smerling mit weltmännischer Leichtigkeit. Die Prospekte mit der Computergrafik der Küppersmühle 2.0 waren damals schnell gedruckt, die schönen Bilder des leuchtenden Schwebebalkens gingen hinaus in die große weite Welt. Duisburg wollte sich neu erfinden.

Alles hätte so schön werden können. Doch seit dem 10. Juni ist Baustopp. Die gemieteten Kräne sind abgebaut, auch die Gerüste sind vor einigen Tagen verschwunden. Kostet alles nur Geld, noch mehr Geld, von dem keiner weiß, woher es kommen soll. Jetzt ist die Katastrophe da, als 1300 Tonnen schweres Prestige-Gerippe, das als Symbol kommunalpolitischer Überforderung kaum mehr als Schrottwert hat. Aktuelle Kostenbefürchtungen für das Projekt liegen bei 69 Millionen Euro für 2200 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Das neue Folkwang-Museum in Essen bietet 14 000 Quadratmeter für 59 Millionen Euro. Damit wäre das Duisburger Stillleben aus Stahl, sollte es je so weit kommen, das teuerste Museum der Welt. Es gibt begehrtere Rekorde.

"Der Bau fing eigentlich unter ausgezeichneten Vorzeichen an", ist die nicht ganz verzweiflungsfreie Antwort des Kulturdezernenten Karl Janssen auf die Frage, wie es nur so weit kommen konnte. Janssen, der 2009 zum "Kulturmanager des Jahres" gekürt wurde, ist ein jovial wirkender Mann mit Schützenkönig-Stimme. Der CDU-Politiker hat ein mit moderner Kunst gewürztes Büro im Duisburger Rathaus, das mit seiner scheingotischen Optik an eine "Ritter der Tafelrunde"-Kulisse aus Hollywood-Zeiten erinnert.

In Duisburg sind die guten alten Zeiten längst vorbei. Die Stadt ist derart klamm, dass es kaum fürs Nötigste reicht. Irgendwo nebenan auf der Etage von Janssens Amtszimmer verbarrikadierte sich Oberbürgermeister Adolf Sauerland nach der Katastrophe bei der Love-Parade vor einem Jahr. Duisburgs Nerven liegen blank, immer noch, erst recht in diesen Tagen. Ein Bürgerbegehren will bis Oktober Unterschriften sammeln, um Sauerlands Abwahl in die Wege zu leiten. Und jetzt auch noch das Elend mit der Küppersmühle.

Aus Hamburger Sicht wirkt die Idee für die Küppersmühle wie ein direkter Verwandter des Elbphilharmonie-Konzepts. Kein Zufall, denn beide Entwürfe stammen von den Basler Architekten Herzog & de Meuron (HdM). Die Schweizer hatten von 1997 bis 1999 den stillgelegten Silo im Inneren wieder flott und museumsfein gemacht. Als das Kulturhauptstadt-Jahr 2010 sich näherte und jede Kommune toller sein wollte als die nächste, kam in Duisburg die Idee auf, das von der Bonner Stiftung Kunst und Kultur betriebene Museum spektakulär nach oben zu erweitern. Bei einem Planungsgespräch in Basel hatte Jacques Herzog spontan den Container vom Boden aufs Dach des Modells gestellt, erinnert sich Janssen. Eine Idee, die mitriss, denn Duisburg hoffte auf den Bilbao-Effekt. Die Stadt wollte einst wie die spanische Stadt mit einem spektakulären Bau wie dem Guggenheim-Museum zum Anziehungspunkt für Touristen werden. HdM hatte schon das frühere Londoner Kraftwerk am Themse-Ufer zur weltbekannten Kultur-Ikone veredelt. Das wollte man auch. Act local, think global. Es durfte dann ruhig auch etwas kosten.

13 Millionen Euro versprach der Essener Energiekonzern Evonik als Großsponsor, dessen Logo den Kubus in einen Dauerwerbeblock verwandelt hätte. Bauherr des im Mai 2009 begonnenen Anbaus ist die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gebag. Von dort sollten ursprünglich nicht mehr als 1,3 Millionen Euro kommen. Mit der Federführung der Gebag begann das Drama, und damit endet auch Janssens Glück im Unglück. Die Küppersmühle ist zwar kein städtisches Museum, das Janssens 37-Millionen-Jahresetat direkt belasten würde. Aber über den kurzen Umweg der 100-Prozent-Tochter Gebag wird die wund gesparte Stadt womöglich doch wieder zur leeren Kasse gebeten. "Nehmen Sie einem nackten Mann mal was aus der Tasche", bringt Smerling das Etat-Dilemma auf den Punkt. Über das Bruch-Stück neben seinem Museum sagt er: "Vielleicht ist es ja nicht nur ein Bauwerk, sondern auch ein Kunstwerk, und Kunst ist nun mal nicht zu normalen Preisen zu haben."

"Das Projekt mit städtischem Geld zu retten ist undenkbar", räumt Janssen unumwunden ein. "In einer Stadt, wo wir darüber nachdenken, Jugendeinrichtungen schließen zu müssen, kann man so etwas nicht städtisch finanzieren. Wenn ich zwischen der Realisierung dieses Projekts und der Schließung sozialer Einrichtungen wählen müsste, wäre ich immer auf der Seite der sozialen Einrichtungen. Daseinsvorsorge geht immer noch vor Kultur, auch wenn sie immer auch Standortfaktor ist." In der Nachbarschaft der Küppersmühle musste ein städtisches Kindermuseum dichtgemacht werden. Dort kann man nun ein "Lego Discovery Center" besuchen.

2009 wurde mit dem Bau der Museumserweiterung begonnen. Die ersten Preissteigerungen nahm man noch zähneknirschend in Kauf, Bauen und die öffentliche Hand, na ja, das alte Lied. Doch dann wurde es nicht nur schwieriger, sondern geradezu kriminell. Das Stahlbau-Konsortium ging krachend pleite, die Staatsanwaltschaft ermittelt.

"Für die Gebag ist es leider tragisch gelaufen", kommentiert Smerling den Stillstand der Dinge. "Sie ist betrogen worden und hat es nicht gemerkt." Eine sehr diplomatische Formulierung. Viel Geld ist weg, so ziemlich jedes Vertrauen ist dahin. Und als man, eigentlich nur eine Formalie für die nachrückende Firma, den Rohbau begutachten ließ, stellten Experten fest, dass in abenteuerlichem Ausmaß gepfuscht worden war. 49 der 54 Hauptknotenpunkte taugten nichts. Hohlräume sollen mit Schrott aufgefüllt worden sein. Die Küppersmühle-Fahrstühle, die Besucher in den Erweiterungsbau bringen sollen, enden im Nichts. Ein bezeichnendes, trauriges Bild für die Bruchlandung dieses Höhenflugs, der einst so schwungvoll begonnen wurde. Die Küppersmühle ist zur Zwickmühle geworden.

Guter Rat ist jetzt sehr teuer. Gutachter versuchen belastbare Kosten- und Zeitpläne zu erstellen. Bis Oktober sollen sie vorliegen. Die Mäzene, die angeblich schon 30 Millionen Euro versprachen, haben eine Ausstiegsklausel, sie könnten sich bei 50 Millionen Euro als Gesamtpreis verabschieden, schlimmstenfalls mitsamt ihrer Sammlung. Derzeit schweigen sie sich über ihre Schmerzgrenze aus, während ihre Verhandlungspartner ängstlich auf die Fortsetzung der Bauarbeiten hoffen.

Nicht nur in Duisburg wird Frust wegen der Küppersmühle geschoben, sondern auch bei HdM in Basel. Ein solcher Absturz macht sich gar nicht gut im Portfolio weltweit agierender Star-Architekten. Deswegen betont Robert Hösl, der für das Projekt zuständige HdM-Partner, im Telefonat auch, dass der Schwarze Peter nicht bei ihm zu suchen sei. "Hier hat ein Subunternehmer des Bauherrn versagt. Diese zu beauftragen und zu überwachen gehört nicht in den Zuständigkeitsbereich der Architekten. Für die Bauüberwachung wurde eine separate Firma vom Bauherrn beauftragt." Schweißarbeiten zu überwachen sei Aufgabe der Bauleitung.

"Das ist hier nicht unser Part", so Hösl, "wir haben bei diesem Projekt die gestalterische Kontrolle zu leisten." Qualitätskontrollen von Schweißnähten erfordern spezielle Untersuchungen, "das ist nichts, was man als Architekt bei einem Baustellenrundgang mit bloßem Auge erkennen kann." Auf die ganz anders gelagerte, ebenfalls sehr verfahrene Situation auf der Elbphilharmonie-Baustelle angesprochen, sagt Hösl: "Von sehr weit betrachtet gibt es zwei Parallelen: Wir setzen etwas Neues auf etwas Bestehendes. Es entsteht ein Kulturbau unter Beteiligung der öffentlichen Hand. Damit enden die Parallelen aber auch schon."

Die Gebag steht unterdessen mit dem Rücken schon fast hinter der sprichwörtlichen Wand. Im Rathaus hat die wutschnaubende Opposition gefordert, die AG in eine GmbH umzuwandeln, um zukünftig mehr Einblick in Entscheidungsprozesse zu erhalten. Und als ob die Lage nicht schon dramatisch genug wäre, kommt nun immer mehr Unglaubliches ans Tageslicht. Im Gebag-Geschäftsbericht 2009 steht dieser Vermerk: "Soweit sich die Herstellungskosten gegenüber den Planungskosten erhöhen, ist die Gebag zur Übernahme dieser Mehrkosten verpflichtet." Ein Express-Fahrschein ins Aus wäre dieser Blankoscheck. Eine Gebag-Sprecherin bestätigt den Passus und erklärt, man sei mit Evonik und den Ströhers in Verhandlungen, um eine Lösung zu finden. Love-Parade, Gebag und Küppersmühle - vielleicht ist das mindestens ein Problem zu viel für den angezählten Oberbürgermeister.

Der Stadtheilige Horst Schimanski, rasiert und im dunklen Anzug, dazu von ihm der Satz "Wir können auch anders" als Werbung für seine gefühlte Heimat. Das wäre doch was, findet Duisburgs Kulturdezernent, Optimismus ins Krisengespräch pumpend. Die Frage nach einem Jahr, in dem das Projekt Küppersmühle-Erweiterung wie geplant in Betrieb genommen wird, beantwortet Janssen mit einem Seufzer, den man auch zur Elbphilharmonie-Baustelle kennt: "Es ist fast egal. Es muss nur irgendwann eröffnet werden."