Das Festival JazzBaltica stand am Anfang des Ruhms von dem 2008 verunglückten Pianisten Esbjörn Svensson, jetzt nahm es Abschied von ihm.

Salzau. Der Himmel hatte schon den ganzen Tag geweint. Mit grauem Gesicht tropfte er von früh bis spät auf Norddeutschland herab. Und dann, mitten in der Nacht, gegen halb ein Uhr morgens, schrie und tobte und donnerte er über dem sonst so idyllischen Landeskulturzentrum Salzau derart heftig, dass für eine Millisekunde der Strom wegblieb. Die bunten Lampen in der Konzertscheune erstarben für einen kollektiven Moment in Finsternis, rappelten sich aber gleich wieder auf.

Der Laptop des Gitarristen Pat Metheny nahm länger übel. Bis der wieder hochgefahren und funktionstüchtig war, überbrückte Magnus Öström die Zeit mit einem Schlagzeugsolo. Spirituell veranlagte Konspirationstheoretiker spürten: Dieser Ausbruch höherer Gewalt war kein Zufall. Irgendwie meldete sich hier Esbjörn Svensson, hoch oben auf Regenwolke sieben. Doch wie war sein Kommentar zu deuten?

Seinem Andenken galt das nächtliche Treiben auf der Bühne, das so recht erst zur Geisterstunde zwischen Sonnabend und Sonntag begann. Zuvor hatten der Schlagzeuger Magnus Öström und der Kontrabassist Dan Berglund mit ihren neuen Bands Thread of Life und Tonbruket bewiesen, dass es für sie als Musiker ein Leben nach dem Tod ihres 2008 verunglückten Freundes und Pianisten gibt. Beide Bands spielten seelenvoll - doch am Publikum vorbei. Gleich weit vom Zauber jenes "Magic Trios" e.s.t. entfernt, weckte ihre musikalische Gegenwart nur noch mehr Sehnsucht nach der Vergangenheit.

Zum Salzauer "Tribute to Esbjörn" waren auch Svenssons Witwe Eva, die Kinder und seine Schwester angereist. Vier Pianisten skizzierten mit faszinierend unterschiedlichem Strich Facetten eines möglichen Svensson-Porträts: Der Pole Leszek Mozdzer gedachte mit einer flirrenden Improvisation über ein Chopin-Prélude der Chopin-Leidenschaft Svenssons, Vijay Iyer meditierte gewohnt klug und abstrakt über zwei Stücke von Monk, dessen Werk e.s.t. früh ein ganzes Album gewidmet hatte. Yaron Herman, ästhetisch am ehesten ein Esbjörn-Erbe, spielte mit Lars Danielsson am Cello zwei der vielen tollen e.s.t.-Songs von Svensson ("Pavane" und "Gold-Hearted Miner").

Gegen halb zwei Uhr früh lernte das Publikum von Magnus Öström noch einen musikalischen Kindervers, den er und Svensson als Elfjährige ersonnen hatten. Anschließend fragmentierte Michael Wollny die kleine Melodie mit aller ihm auf dem Klavier zur Verfügung stehenden Hexenkunst und ließ sie in ein berührendes Duett mit Nils Landgren münden, "Don't Tell Me How The Story Ends". Keiner im Jazz singt so unambitioniert, so kreidig, so intim wie Landgren, keiner weckt mit so wenig Stimme so viel Gefühl.

Pat Metheny, bekennender Svensson-Fan, saß als Stargast der Hommage etwas abseits am Rand der Bühne, zwirbelte seine diversen Gitarren und machte gute Miene zum bösen Spiel, als das Ad-hoc-Trio sein Stück "Bright Size Life" ein zweites Mal spielen sollte - für die Fernsehkameras, die sich beim Stromausfall kurz komplett verabschiedet hatten. Um zwei Uhr früh, Viktoria Tolstoy hatte auch noch gesungen, schön und laut, verlief sich die Trauergemeinde in die Blitze der Nacht.

Früher Glanzpunkt des langen Tages war das JazzBaltica-Ensemble. Der All-Star-Band, diesmal unter der Regie des Hamburger Trompeters Nils Wülker, gelang der Spagat zwischen ihren reizvoll arrangierten, sinnlich-gesanglichen Stücken und zwei von der Festival-Dramaturgie erwünschten Nummern des Trompeters Dave Douglas, der stilistisch vom entgegengesetzten Ende der Jazzwelt kommt. Die Band Ronin des Schweizer Pianisten Nik Bärtsch büßte nach der ersten halben Stunde etwas von ihrer Kraft als klingende Meditationsmaschine ein. Doch die bestechend präzis gespielte Musik irgendwo zwischen Pink Floyds "Set The Controls For The Heart of The Sun", Can, Gentle Giant und dem beharrlichen Minimalismus eines Phillip Glass zielt auf dasselbe wie die von Esbjörn Svensson: Entgrenzung und absolute Gegenwart.