Warum der Künstler von Welt Morgenmantel trägt

Ich habe einen Traum. Ich möchte gern im Schlafanzug aus dem Haus gehen. Bei diesem Vorhaben geht es nicht darum, dass das Modell modische Maßstäbe setzt. Es handelt sich um karierten Standard. Und in dieser Baumwollbettwäsche zum Beispiel im Büro aufzutauchen, hätte vermutlich einen ähnlichen Wohlfühlfaktor, wie im Bikini in die Kirche zu gehen. Sprich: Das Umfeld bewertet die Aufmachung dann doch als eher unpassend. Obwohl in dem Begriff Schlafanzug das Wort Anzug enthalten ist. Was ja bedeutet: Ich bin angezogen. Nur eben nicht ordentlich. Weil dem Anzug der Schlaf vorangestellt ist. Und das Somnambule macht nicht unbedingt einen besonders aufgeräumten Eindruck. Das "Projekt Schlafanzug" liegt für mich vielmehr in dem feinen Übergang zwischen Träumen und Wachen begründet.

Es geht darum, den Zauber der Nacht noch ein wenig länger zu tragen und den Anbruch des Tages nicht sofort offiziell mit dem Anlegen der Kleider zu manifestieren. Einmal geduscht, sind alle nocturnen Wesen verscheucht. Einmal angezogen, ist der Körper für die grelle Realität da draußen gerüstet. Wer aber den Schlaf als Anzug trägt, einfach die dicke Decke lupft, die weichen Puschen anzieht und hinaus ins Leben schlappt, der dehnt die bildgewaltige, geheimnisvolle Welt der Träume noch ein Stückchen weiter aus.

Man muss es ja nicht direkt so drastisch interpretieren wie der libanesische Philosoph Khalil Gibran mit seinem Ausspruch: "Dieses Leben in der Welt ist - mit allem, was es enthält - ein Traum. Das Erwachen aus diesem Traum ist der Tod." Aber der portugiesische Dichter Fernando Pessoa kommt der Sache schon näher: "Nur was wir träumen, sind wir wirklich, denn alles Übrige gehört, weil es verwirklicht ist, der Welt und allen Menschen."

Kein Wunder also, dass vor allem unter Künstlern zunehmend der Gebrauch von Kleidung en Vogue ist, die das Odeur der Nacht mit sich führt. Der Trend geht derzeit dahin, den Schlafanzug mit einem Morgenmantel zu bedecken. Was eine gewisse Ironie in sich birgt. Der Träger gibt sich zwar den Anschein, etwas übergezogen zu haben, sich also gesellschaftsfähig zurechtzumachen. Und mit dem Mantel hat immerhin schon mal den Morgen angelegt. Doch auch diese Garderobe, ob nun aus Seide oder Frottee, ist in ihrer ursprünglichen Bestimmung für den Hausgebrauch gedacht. Was zu einer weiteren Überlegung führt: Wenn die Welt mein Zuhause ist, dann kann ich auch überall mit selbstverständlicher Grandezza einen Morgenmantel tragen.

Diese Philosophie scheint sich Jason Charles Beck zu eigen gemacht zu haben. Wenn er sich seinen Morgenmantel umbindet, verwandelt er sich in den exaltierten Hip-Hop-Pianisten Chilly Gonzales. Und auf dem Cover zu seinem neuen Album "The Unspeakable" fläzt er sich im Bett-Outfit samt Pantoffeln an den Füßen auf den Dächern einer Metropole, die dank Eiffelturm irgendwie an Paris erinnert. Ein Godzilla des Rumhängens. Die Zipfel seines Morgenmantels baumeln in die Straßen hinab. Vielleicht wartet er in der Stadt der Liebe auf seine badebemantelten Kollegen für eine große Jamsession aller Matratzen-Fashionistas. Gemeinsam mit Udo Jürgens, Bernd Begemann, Hugh Hefner, Arthur Dent, Dittsche und dem Dude gründet er dann den Chor "Schlafes Brüder". Im Repertoire: "I'm Only Sleeping" von den Beatles, "Nur geträumt" von Nena und die selbst komponierte Hymne "Veronica, der Schlonz ist da". Danach gucken sie dann gemeinsam "In Bed With Madonna" und trinken Sundowner.

Die einzige Frage, die sich dann noch stellt: Wenn Schlafanzug und Morgenmantel die Arbeitskleidung sind, schlafen die Herren Künstler dann in Hemd und Hose?

Chilly Gonzales Di 28.6., Kampnagel