Dem kanadischen Metal-Genius Devin Townsend gelingt auf seinen beiden neuen Alben der größtmögliche Kontrast.

Der Fußboden im Gruenspan sah nach dem Konzert von Devin Townsend im März doch recht mitgenommen aus: Hier und da sah man eingedrückte Stellen im Belag, hervorgerufen durch herunterfallende Kinnladen. Auch Haarreste waren zu entdecken, so mancher Kopf streifte bei der Verneigung den bierverklebten Grund. Ja, so was hatte man selten im altgedienten Span erlebt. Die Erschaffung einer neuen Welt, in der Metal und Pop eine unheilige Allianz eingingen, angefeuert von einer permanent fluchenden und masturbierenden Handpuppe namens "Ziltoid The Omniscient".

Dieser Auftritt, dieser Parforceritt durch einen Irrgarten von zerplatzenden Synapsen, ließ einen so begeistert wie ratlos zurück. Majestätisch drohende Metal-Gewitterwolken, aus denen sich erstaunliche Melodiebögen entluden. Die Muse verteilte Küsse mit der Stachelkeule. Verwirrend, verstörend, verführerisch.

Aber wer Devin Townsends lange und wechselreiche Karriere schon länger verfolgt, der weiß, das man bei diesem Wahnsinnigen mit allem rechnen muss. Wobei es der manisch-depressive, von Adrenalin-Überproduktion geprägte Charakterkopf überhaupt nicht mag, wenn man ihn den "Verrückten Professor" nennt. "Das ist totaler Bullshit, weil ich überhaupt nicht verrückt bin. Ich bin die vernünftigste Person, die ich kenne", sagte er mal dem "Rock Hard"-Magazin. Ja nee, is klar!

Lässt man die kurze Liaison als Sänger von Gitarren-Poser Steve Vai beiseite, dann tauchte der 1972 in New Westminster geborene Kanadier 1995 aus dem Nichts auf. Wie eine Pandemie. Das ultraharte Album "Heavy As A Really Heavy Thing" verschreckte und verzückte 1995 nur Eingeweihte, aber Jahr für Jahr, Album für Album und Projekt für Projekt zog das Phänomen Devin Townsend neue Kreise.

"Wenn die Welt explodiert, dann lasst uns den Soundtrack dazu schreiben", kommentierte er den 11. September 2001 und fasste so die Maxime seines Schaffens zusammen. Mit der Band Strapping Young Lad und solo lotete er alle Extreme aus, ritt Attacke auf Attacke sowohl gegen die böse Musikindustrie als auch gegen sein eigenes Image. Bereits 1997 sorgten das apokalyptische Brecheralbum "City" und das sinnlich-ästhetische "Ocean Machine: Biomech" innerhalb weniger Monate für Fassungslosigkeit bei Fans und Kritikern. Wie weit würde Townsend gehen? Und in welche Richtung?

Diese Fragen bleiben bis heute, mehr als 15 Strapping-Young-Lad- und Studioalben später, ungeklärt. Es werden neue auftauchen. Der vielseitige, exzellente Sänger, der Multiinstrumentalist und der perfektionistische Produzent ist zumindest musikalisch eine multiple, unberechenbare Persönlichkeit geblieben. So erscheinen am 17. Juni auch gleich zwei neue Alben, sowohl einzeln als auch im limitierten Doppel. Diese Edition trägt den passenden Namen "Calm And The Storm", den unterschiedlicher könnten die Werke "Deconstruction" und Ghost" kaum sein.

Beim ersten Durchlauf von "Deconstruction" ist man versucht, sich in Embryohaltung ein sicheres Plätzchen unter der Kellertreppe zu suchen. Zwar ist das an 80er-Boypop erinnernde "Praise The Lowered" noch ein einlullender Auftakt, dann aber beginnt die Reise in eine schwarze, gepeinigte Seele.

Stampfend wie lauernd gibt "Stand" den Schubs ins Dunkel, wo das Mini-Drama "Planet Of The Apes" zehn Minuten lang die Peitsche schwingt, wo "The Mighty Masturbator" 16 Minuten lang alle paar Takte eine neue Fratze enthüllt und mit einem pompösen "Amen" auf einem Jahrmarkt des Grauens ausklingt. Keine Rettung in Sicht, es folgt der überschallschnell mitreißende Mahlstrom "Pandemic". Es ist ein Album wie ein "Poltergeist": bösartig, aber mit Sinn für Humor. Gitarren wie Richtschwerter, Arrangements wie Galgenhügel, Trommeln mordlüsterner Landsknechte. Die Pest! Die Pest!

Noch beängstigender, ja geradezu bestürzend, ist der direkte Wechsel zum zweiten neuen Album "Ghost". Es sei sein sanftestes Album, sagt Townsend und untertreibt damit maßlos. Als habe er Vangelis, Pink Floyd und eine aus der Spitalerstraße entführte Panflöten-Django-Truppe in einen dunklen Keller vor das Aufnahmegerät gesperrt, flattern Lieder wie "Fly", "Heart Baby" und "Feather" federleicht über Wälder, Froschteiche, Strände und Berge. Songwriter-Balladen ("Kawaii"), Kuschel-Country ("Ghost", "Blackberry") und "Space Night"-Soundtracks ("Texada", "Dark Matter"): Es schwelgt, schwebt und träumt, mal einnehmend, mal einschläfernd. Rausch. Gift.

Wer "Destruction" überlebt, landet im "Ghost"-Paradies. Und den Ausweg aus dem Garten Eden bietet nur: "Destruction". Es sind zwei Alben, die sich ausschließen wie Feuer und Wasser, Tod und Leben - und doch eins sind.

Devin Townsend Project: Deconstruction (InsideOut Music), Ghost (InsideOut Music) ab 17.6. im Handel; www.hevydevy.com