Michael Ahrens hat erstmals die britische Besatzungszeit in Hamburg untersucht. Das Abendblatt führte ein Gespräch mit dem Historiker.

Hamburg. In der unmittelbaren Nachkriegszeit lebten bis zu 30 000 englische Soldaten und Zivilisten in Hamburg. Als Besatzer mussten sie die Versorgung der Bevölkerung und den Wiederaufbau organisieren und zugleich dafür sorgen, dass sich eine demokratische Gesellschaft entwickeln konnte. Noch bis 1956 hatten die Autos Nummernschilder mit den Buchstaben BH (britische Zone Hamburg). Obwohl die Besatzung eine einschneidende Erfahrung war, erinnert nur noch wenig daran. Der Historiker, Journalist und Leiter der Unternehmenskommunikation von Saga-GWG, Michael Ahrens, hat sich intensiv mit der britischen Besatzungszeit auseinandergesetzt und die erste umfassende Arbeit zu diesem Thema veröffentlicht. Sein Buch "Die Briten in Hamburg. Besatzerleben 1945-1958" ist jetzt im Dölling und Galitz Verlag erschienen. Morgen stellt es Ahrens um 20 Uhr in der Heinrich-Heine-Buchhandlung (Grindelallee 26) vor.

Hamburger Abendblatt: Für die Sowjets waren alle Deutschen Faschisten. Hielten auch die britischen Soldaten die Hamburger pauschal für Nazis?

Michael Ahrens: Nein, sie haben die Hamburger niemals unter Pauschalverdacht gestellt. Andererseits war ihnen aber auch weitgehend egal, dass das liberale Bürgertum für sich reklamierte, besonders anglophil zu sein.

Wie haben die Hamburger die Briten unmittelbar nach Kriegsende erlebt?

Ahrens: Ziemlich reserviert, Kindern gegenüber aber freundlich. Allerdings galt die ersten vier Monate noch ein "Verbrüderungsverbot". Zunächst durften die Soldaten noch nicht einmal mit den Einheimischen sprechen. Der Rathausmarkt war mit Stacheldraht eingezäunt. Erst ab dem Spätsommer 1945 kam es in größerem Umfang zu Kontakten. Im August wurden die ersten Kneipen freigegeben, in denen britische Soldaten Bier trinken durften. Ab Herbst 1945 wurden die Verbote immer weiter aufgeweicht, dann tanzten britische Soldaten auch mit Frats oder Fraus, wie sie die deutschen Frauen nannten. Verbrüderung mit Schwestern, könnte man sagen.

Gab es Vergewaltigungen?

Ahrens: Es gab einzelne Übergriffe, auch Vergewaltigungen. Aber in viel geringerem Umfang als das in der sowjetischen oder französischen Zone geschehen ist. Offiziell registriert wurden in Hamburg fünf Fälle, die alle in den ersten Wochen passiert sind. Es mögen sicher einige mehr gewesen sein, aber anders als in anderen Zonen herrschte hier kein allgemeines Klima der Angst.

Aber es gab Konflikte.

Ahrens: Die Bevölkerung war enttäuscht über die Besatzer und hat natürlich über die Briten geschimpft, zum Beispiel über die Versorgung mit Lebensmitteln oder Wohnraum. Die meisten Soldaten kamen in Wehrmachtskasernen unter, viele andere brauchten aber innerhalb weniger Tage eine Wohnung. Ganz am Anfang gab es eine Reihe willkürlicher Beschlagnahmungen.

Wie kann man sich das vorstellen?

Ahrens: Zum Beispiel so: Ein General fährt in Othmarschen eine Straße entlang, sieht dort ein Haus, das ihm gefällt. Er lässt den Bewohnern mitteilen: Hier ziehe ich ein. Die Leute waren dann innerhalb von spätestens zwei Wochen draußen.

Wie haben die britischen Soldaten die zum großen Teil von britischen Bombern total zerstörte Stadt erlebt ?

Ahrens : Obwohl die Briten natürlich von den Zerstörungen wussten, waren sie dann doch oft erschüttert, als sie vor Ort sahen, was die Royal Air Force angerichtet hatte. Lewis Lyne, ein führender General, der am 3. Mai in der Abenddämmerung im Hotel Vier Jahreszeiten Quartier bezog, war sehr geschockt von der Zerstörung des Hafens. Es gibt auch Berichte von Soldaten, die nach Bramfeld kamen und in ihre Tagebücher fassungslos schrieben, sie seien eine Meile gefahren und hätten nichts als Schrott und Trümmer gesehen.

Hat sich das Deutschlandbild der Besatzer mit der Zeit geändert?

Ahrens: Ja, weil sich der Besatzungsalltag schnell normalisierte. Neben den Soldaten gab es auch viele zivile Bedienstete, die meistens besser gebildet waren und dadurch auch einen anderen Zugang zu den Deutschen fanden. Auf höherer Ebene gab es bald auch Freundschaften. Zeitweise haben zudem mehr als 50 000 Hamburgerinnen und Hamburger bei den Briten gearbeitet, zum Beispiel als Bürokraft, Fahrer oder Haushaltshilfe.

Führten die britischen Besatzer ein isoliertes Leben?

Ahrens: Ja, sie hatten ein System eingerichtet, wie sie es als Kolonialmacht kannten. Sie hatten eigene Schulen, eigene Buslinien, eigene Shops, mit BFN ein eigenes Radio und außerdem eigene Freizeitangebote. Es gab sogar eigene Stadtteile, nicht nur Harvestehude, sondern insgesamt sechs weitere. Das blieb letztlich bis zum Ende der Besatzungszeit so. Man hat mit großen Anstrengungen versucht, ein Stück Großbritannien in Hamburg entstehen zu lassen. Noch bis 1951 gab es S-Bahn-Abteile, die nur von Briten benutzt werden durften. Das führte manchmal zu Protesten, wenn die normalen Wagen überfüllt waren, während in den Besatzerabteilen kaum jemand mitfuhr.

Was hat Sie bei Ihrer Recherche erstaunt oder überrascht ?

Ahrens: Zum Beispiel, dass es mindestens 1000 Ehen zwischen Briten, vor allem Soldaten, und deutschen Frauen gab. Vom weiteren Schicksal dieser Menschen wissen wir gar nichts. Sicher leben noch einige entweder in Großbritannien oder auch wieder hier in Hamburg. Offiziell gibt es mehr als 700 uneheliche Kinder, man kann sich aber vorstellen, dass es in Wahrheit sehr viel mehr gewesen sind. Interessant ist auch der Nachzug der britischen Familien, die ab August 1946 nach Hamburg kommen durften. Infolgedessen lebten hier zeitweise mehr als 1500 britische Frauen und 1000 britische Kinder. Überraschend fand ich auch den sehr schlechten Start der britischen Besatzung.

Was war schlecht daran?

Ahrens: In den ersten Tagen gab es als Stadtregierung nur einen kanadischen Luftwaffenoberstleutnant und einen schottischen Oberst, den man aus dem Ruhestand geholt hatte. Beide waren völlig überfordert. Da hat eine Woche quasi nichts funktioniert. Und dann hat man einen Mann geholt, der eigentlich schon auf der Ersatzbank saß und dann doch eine Millionenstadt sehr effizient regiert hat. Das war der Engländer Hugh Armytage. Er hat Nazis wie Bürgermeister Krogmann, der unter den Besatzern zunächst als Verbindungsmann noch einen SS-Offizier installieren konnte, sofort rausgeschmissen.

Wie lange dauerte die Besatzung?

Ahrens: In ihren letzten Ausläufern bis 1958. Erst dann sind die letzten Militärs gen Rheinland gezogen, wo sich die britische Rheinarmee konzentriert hatte.

Afghanistan zeigt aktuell, wie leicht eine Besatzungsarmee schwere Fehler begehen kann. Wie bewerten Sie die britische Besatzung Hamburgs insgesamt?

Ahrens: Sie wollten es richtig machen und haben sich mit großem Fleiß und Einsatz auch darum bemüht, den Deutschen Demokratie beizubringen. Sie haben die riesigen Probleme der unmittelbaren Nachkriegszeit vergleichsweise gut gelöst, wenngleich auch ihre eigene Bürokratie durchaus lähmend wirkte. Als Besatzer an sich haben sie sich gegenüber den Hamburgern unter dem Strich fair verhalten, wenngleich sich die Soldaten alkoholbedingt häufiger mal danebenbenahmen

Gibt es etwas, das bis heute nachwirkt?

Ahrens: Der Anglo-German-Club ist ein Sinnbild dafür. Das ist wohl deutschlandweit einmalig. Die Briten sind relativ leise gekommen und ebenso leise gegangen. Es gibt als britisches Projekt die Grindelhochhäuser, aber viel mehr erinnert in der Stadt nicht an die Engländer. Es gibt auch analog zur Franzosenzeit keine eigene Engländerzeit als Begriff. Unter dem Strich hatte Hamburg also recht angenehme Besatzer.

Das Abendblat sucht Zeitzeugen:

Wer kann Auskunft über das Schicksal von Hamburgerinnen geben, die britische Soldaten geheiratet haben? Vielleicht sind Ihre Großmutter, Tante oder Schwester auf diese Weise Engländerinnen geworden? Der Autor Michael Ahrens ist gespannt auf Ihre Erinnerungen. Zuschriften bitte an:

Hamburger Abendblatt, Stichwort: Briten in Hamburg, Brieffach 2110, 20350 Hamburg