Das elftägige Live-Art-Festival auf Kampnagel ließ den Zuschauern Raum für eigene Assoziationen und Kreativität - verlangte aber auch Aktivität.

Hamburg. "Wir hatten eine gute Zeit", sagt Sophia News. Am Ende, als alles gesagt ist, die unerbittlichen Wahrheiten und manch intimes Bekenntnis. Ungeprobt, aber jeden Satz gut in Gedanken durchgewalkt, brachte News mit ihrem Kunst- und Lebenspartner Daniel Belasco Rogers als Künstlerduo Plan B. die Performance "The Last Hour" hinter sich. Es war zugleich die letzte nach elf Tagen Live-Art-Festival auf Kampnagel. Und auch hier trifft die Aussage zu: Alle Performance-, Film- oder Tanzveranstaltungen waren zutiefst im Leben verankert und theatral so überhöht, dass sie eine individuelle Assoziationsfläche boten.

Das Festival war keines, bei dem sich die Besucher zurücklehnen, in Figuren und Geschichten einfühlen und schönen Bildern sich synchron bewegender Körper hingeben konnten. Anders als das Repräsentationstheater verlangt die Live Art nach aktiven Zuschauern, die das Gesehene in den Kontext individuellen Erlebens und der Gesellschaft stellen. Die Hamburger haben sich darauf eingelassen - großteils mit Gewinn.

Bei so manchem Satz, der in "The Last Hour" zu Fragen von Leben, Lieben, Endlichkeit fiel, spürte man förmlich die Gedankenarbeit des Publikums. Paare blickten sich an, etwa wenn Sophia News anhob: "Mich quält die Frage, ob die Tatsache, dass wir eine Tochter haben, gewollt oder ein Zufall war." Es waren philosophische und alltägliche Begebenheiten, Geschichten, "die wir im Dunkeln erzählen, um das Feuer tanzend", die diesen Abend zu einer formal überzeugenden existenziellen Erfahrung erhoben.

Mit Einfühlung kamen die Zuschauer der Performance "Paris 1871 Bonjour Commune" der Hamburg-Berliner Truppe Showcase Beat Le Mot ebenfalls nicht weit. Die vier Performer reichten Coq au Vin, um anschließend sämtliche Frankreich- und Revolutionsbilder mit selbst gebauten Apparaturen szenisch auszuschlachten und parodistisch niederzumachen. Vom gequält gesungenen Chanson bis zum Tricolore-Tanz, von der Akkordeonmaschine bis zur Gurkenguillotine.

Auch die Revolutionsreden kamen über diesen dadaistischen Nonsens Ansatz nicht hinaus. So wie die gesamte Performance in einem spaßigen, aber weitgehend sinnfreien Sampling von Beats, Bewegungen und Textbrocken stecken blieb.

Weder lukullische, musikalische, szenische noch visuelle Zaubereien benötigte das Tänzerduo Ikue Nakagawa/ Lorenzo de Angelis in Pascale Ramberts Duo "Libido Sciendi". Wie Plan B auch im Leben ein Paar, vertraute es couragiert seiner puren Körperlichkeit und tanzte nackt, doch in formaler Strenge und geometrisch exakten Figuren und Stellungen einen sexuellen Akt als spirituelles Ritual. Bei der ästhetischen Transformation konnte von Pornografie keine Rede sein, wie sich einige Zeitungen voreilig empört hatten. Die inszenierte Erregung offenbarte lediglich hanseatischen Provinzialismus und Unkenntnis des zeitgenössischen Tanzes. Bereits in den 90ern experimentierten Antony Rizzi und John Jasperse mit Nacktheit, wie später Boris Charmatz oder derzeit Dave Saint Pierre.

Körperbilder und Vorstellungen von Rollen, Sexualität und (ihrer) Kunst stellten auch die Choreografen Sasa Arsentic ("My Private Bio-Politics"), Ivana Müller ("60 Minutes of Opportunism") oder Anne Juren in "Magical" mehr oder weniger offenherzig auf den Prüfstand. In ihren Solo-Performances zitierten und transformierten sie Arbeiten anderer Künstler in einem persönlichen Kontext. Sie forderten den Zuschauer heraus, über seine Erwartungen an das Theater und den Tanz zu reflektieren, indem sie diese ironisch und humorvoll unterliefen.

Die Programmkuratorin Anne Kersting räumte zwar ein, dass Live Art ganz bestimmte, gut informierte Besuchergruppen interessiere, dennoch zeigte sich die Dramaturgin zufrieden: "Auffällig war, dass viele Zuschauer sich an einem Abend zwei bis drei Performances angeschaut haben und das Festival mehrmals besuchten." Sie haben sich offenbar bereits als kreative Partner der Künstler verstanden und verlebten mit ihnen und ihrer (selbst)kritisch aus dem Leben gegriffenen Kunst eine gute Zeit.

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