Das Fahrrad ist die fantastischste Erfindung auf dem Erdenrund. Dachte Robert Penn - und schrieb ein Buch über seine Passion.

Hamburg. Bei der Jungfernfahrt jauchzt das Rad unter seinen Händen. Er zieht es die Hügel hoch, geht aus dem Sattel in den Wiegetritt. "Die Luft füllt sich mit Verheißung", so beschreibt es der Enthusiast auf zwei Rädern, er lässt sie nach dem Anstieg langsam bergab rollen. Es ist das perfekte Rad, auf dem Robert Penn da sitzt, und wahrscheinlich ist er, der Sterbliche, Gott in diesem Moment so nah wie noch nie.

"Vom Glück auf zwei Rädern" hat der gelernte Rechtsanwalt, der seit Jahren als Journalist und Fotograf arbeitet, seine literarische Liebeserklärung genannt. Sie ist eine Ode ans Velo und äußert sich in der Suche nach dem perfekten und maßgeschneiderten Fahrrad. Der britische Radler Penn befindet sich auf seinem quasireligiösen Pilgerpfad: Er muss aber gar nicht mehr erleuchtet werden, weil er die fantastischste Sache auf dem gesamten Erdenrund bereits gefunden hat. "Das Rad rettet mein Leben, Tag für Tag", sagt Penn.

Aber er muss trotzdem noch etwas finden, um im Paradies auf dem vollkommenen Fortbewegungsmittel unterwegs zu sein: den besten Rahmen, Lenker, Steuersatz, die unwiderstehlichsten Felgen und Speichen, ein passendes Kettenblatt, das tollste Ritzelpaket, die makellosen Bremsen und den bequemsten Sattel - ein verfeinertes Fahrrad, montiert aus wählerisch zusammengestellten Komponenten. Penn reist um die ganze Welt: für das Beste vom Besten.

Der Mann liebt diesen Gegenstand seines Alltags und seiner an kaum eine Grenze stoßenden Fantasie, er hält das Rad für eine der großartigsten Erfindungen der Menschheit - "von ebenso hohem Rang wie der Buchdruck, der Elektromotor, das Telefon, das Penizillin oder das Internet". Müßig zu sagen, dass Penn unbedingt parteiisch ist: Über das Auto verliert er kaum je ein Wort. Vielleicht, wie die Beziehung zwischen den Fahrern von Zweirädern und Vierrädern eine bisweilen hasserfüllte, mindestens aber neurotische ist. Davon zeugt in diesen Tagen, in denen die Radel-Saison in vollem Gange ist, Annette Zochs "Neben der Spur. Das Fahrradhasserbuch" (Sanssouci-Verlag).

Dort werden kleinlich alle Sünden der Großstadt-Pedaleure aufgezählt (Auto-Kolonnen-Slalom, freihändig fahren, Radweg-Ignoranz). Und die phänomenologischen Erscheinungen unterschieden: der penetrante Tugendradler, der ansonsten ausgemergelte Profi mit den gigantischen Oberschenkeln, der selig-verklärt dreinschauende Familien-Kutscher mit Kindersitz oder Fahrradanhänger. Witzig, witzig, könnte man da sagen. Ein Missionar wie Penn freilich dürfte angesichts solch ketzerischer Verlautbarungen mit den Schultern zucken. Was interessieren einen Globetrotter, der die ganze Welt mit dem Fahrrad abgefahren ist, die Ressentiments der Irr- und Ungläubigen?

Um die Sphäre des Glaubens zu verlassen, denn Penns Buch ist ja eigentlich gar kein dogmatisches, höchstens ein bisweilen kitschiges, sei an dieser Stelle auf die geschichtliche Tiefe verwiesen, die der Autor seiner Abhandlung gibt. Denn während Penn von seiner Reise in englische Fahrradläden, italienische und amerikanische Fabriken für High-End -Fahrrad-Komponenten wie Steuersatz, Pedale und Gangschaltungen und zu hessischen Reifenherstellern berichtet, holt er weit aus.

Er pflicht in seine große Erzählung vom Finden des perfekten Rads die noch größere Erzählung vom Triumphzug eines Fortbewegungsmittels ein. "Vom Glück auf zwei Rädern" ist auch eine informierte und umfassende, dabei flotte und unterhaltsame Kultur- und Technikgeschichte. Das erste prototypische Fahrrad erfand der kurpfälzische Adelige Karl Friedrich Freiherr Drais von Sauerbrunn. Seine Gefährt war eine Art Lauf-Maschine.

Die "Draisine" kam erstmals 1817 zum Einsatz, setzte sich aber nicht durch. Drais war seiner Zeit voraus. Um 1860 entwickelten die Franzosen Drais' Idee weiter, das "Veloziped" funktionierte mit Tretkurbeln. Das Fahrrad, wie wir es heute kennen, wurde kurz darauf in England entwickelt, wo 1885 das erste sogenannte Sicherheitsrad gebaut wurde: Erstmals hatten beide Räder dieselbe Höhe.

Doch das sind Details aus der Kindheit des Fahrrads, im Erwachsenenleben ist seine technische Entfaltung auf stete Verbesserung und fast schon dekadente Ausdifferenzierung angelegt. Der passionierte Radler vom Schlage Penns entscheidet sich beim Fahrradrahmen zwischen Aluminium, Titan und kohlefaserverstärkten Polymeren. Er wählt zwischen verschiedenen Lenkern und Satteln, und er kann sich aus vielen möglichen Lenkköpfen und Getrieben seine Favoriten aussuchen.

Penn ist ein Fahrrad- Nerd . Von denen gibt es viele, man betrachte die Menschen auf ihren hoch technisierten Rennmaschinen oder den stilechten, auf alt getrimmten Retro-Rädern aus längst vergangenen Zeiten, die einem täglich begegnen. So gute Geschichten wie der dreifache Familienvater Penn haben jedoch die wenigsten zu erzählen, sie berichten von Begegnungen auf dem Kunjirap-Pass zwischen Pakistan und China und dem segensreichen Wirken des Fahrrads, das das meistverwendete Verkehrsmittel der Welt ist und eine Demokratisierungsmaschine, die Schranken zwischen Klassen- und Geschlechtsgrenzen aufbrach.

Und weil der weite Weg zum Traumrad (allein die Bestandteile lässt er sich 4000 Euro kosten) reichlich lange dauert und die Besuche in den Fabriken so viel neue Einsichten bieten, wird Penn ("Das Fahrrad ist das effizienteste von Muskelkraft angetriebene Fortbewegungsmittel") zum launigen Philosophen, der seiner Kulturgeschichte des Rads allumfassende Schlüssigkeit gibt. Freilich ist es Einstein, der ihm die Worte leiht: "Das Leben ist wie ein Fahrrad. Man muss sich vorwärtsbewegen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren."

Robert Penn: "Vom Glück auf zwei Rädern " Übers. v. Andreas Simon dos Santos. Tolkemitt-Verlag. 240 S., 17,90 Euro