Die neue Ausstellung in Hamburg “Maler der Elemente“ zeigt, wie modern der britische Maler William Turner bereits im frühen 19. Jahrhundert war.

Hamburg. Als William Turner 1835 die sächsische Residenz besuchte, wird er in der Gemäldegalerie das Rubens-Bild "Quos ego! Neptun die Wogen beschwichtigend" mit besonderem Interesse betrachtet haben. Und genau dieses sehr bekannte Werk der Dresdner Sammlung, das im Original so großformatig ist, dass es sich gar nicht in den Räumen des Bucerius-Kunst-Forums präsentieren ließe, bildet den recht unerwarteten Ausgangspunkt einer Schau, in der die Ausstellungshalle am Rathausmarkt Turner seit gestern als "Maler der Elemente" vorstellt. Zu sehen ist eine kleine Zeichnung, in der Turner die zentralen Figuren der Rubens-Komposition wiedergibt.

Obwohl die antike Vorstellung, nach der sich alles Sein auf Feuer, Wasser, Luft und Erde gründet, um 1800, als die Chemiker schon 30 Elemente kannten, zumindest wissenschaftlich überholt war, nahm Turner die vier Elemente jahrzehntelang intensiv in den Blick. Dabei ging es ihm jedoch weniger um naturwissenschaftliche Erkenntnis, sondern vielmehr darum, die in der Natur wirkenden elementaren Kräfte auf neue Weise darzustellen. Er wollte zeigen, wie sie walten, zusammenwirken und schließlich fusionieren konnten, was er immer wieder aufs Neue als darstellerische Herausforderung begriff.

Wer die Ausstellung im unteren Oktogon des Bucerius-Kunst-Forums betritt, steuert aus räumlichen Gründen zwangsläufig zunächst direkt auf das in Rot- und Gelbtönen lodernde Gemälde "Der Held der hundert Schlachten" zu, wodurch das didaktische Prinzip der Kuratoren ein wenig konterkariert wird. Denn dieses Bild, das den Auftakt für das Element Feuer bildet, soll eigentlich erst das Ende des Rundgangs einleiten, in dem der Reihe nach William Turners Beschäftigung mit Erde, Wasser, Luft und Feuer dargestellt und erklärt werden.

Doch ganz am Anfang kommt das erwähnte Rubens-Bild ins Spiel, das Turner im Alter von 15 Jahren zu jener kleinen Zeichnung inspiriert hat, die wie der größte Teil der Leihgaben aus der Londoner Tate Gallery stammt. Dort stellt er die Elemente Wasser und Luft so dar, wie es der Tradition entsprach. Rubens und der frühe Turner, dem übrigens ein seitenverkehrter Kupferstich des Dresdner Gemäldes aus der Sammlung des Britischen Museums als Vorlage diente, behandelten sie allegorisch: Neptun tritt als Gott des Meeres auf, Aeolos als Hüter des Windes.

Doch schon bald danach verlies der junge Maler die Wege der Tradition, "entmythologisierte" die Elemente und verzichtete bei der Darstellung der Naturgewalten auf die Götter, die sie bis dahin stets zu verkörpern hatten.

Damit eröffnete er der Landschaft, die bis ins 19. Jahrhundert der Historienmalerei stets nachgeordnet war, eine völlig neue Bedeutung. Die Skizzen, Zeichnungen und Aquarelle, die in den vier Themenbereichen im Erdgeschoss zu sehen sind, zeigen, dass Turner bei seinen zahlreichen Reisen unter anderem nach Schottland, später aber auch in die Alpen und nach Italien seine Naturstudien sowohl mit dem für seine Zeit üblichen naturwissenschaftlichen Interesse, zugleich aber mit einem ganz eigenen künstlerischen Gestaltungswillen trieb. Anders als seine Malerkollegen beschäftigte er sich auch eingehend mit dem Feuer, dessen Urgewalt und Farbenkraft ihn besonders faszinierte, ganz gleich, ob er es als Vulkanausbruch oder Sonnenuntergang auffasste. So wurde eine Katastrophe für ihn geradezu zum Glücksfall: Als das Londoner Parlament am 16. Oktober 1834 lichterloh brannte, mischte sich der Maler unter die Schaulustigen. Er ließ sich mit dem Boot sogar auf die Themse hinausrudern, um das schaurige Spektakel aus nächster Nähe betrachten zu können. Ins Atelier zurückgekehrt, brachte er gleich neun Aquarelle zu Papier, die den Brand und seine Spiegelung auf der Wasserfläche der Themse so dynamisch, atmosphärisch, farbgewaltig und elementar zum Ausdruck brachten, wie man es nie zuvor gesehen hatte.

Im oberen Oktogon des Bucerius-Kunst-Forums geht es schließlich um das Spätwerk des Malers, in dem er die vier Elemente zu einer neuen Einheit zusammenführte, Er hatte die bloße Abbildung bereits hinter sich gelassen und vermochte das Wirken der elementaren Naturkräfte in einer Weise darzustellen, die den Betrachter geradezu hineinzuziehen scheint.

Obwohl die Ausstellung nicht mit einer Vielzahl von großen Ölgemälden prunken kann, wird sie die Erwartungen der zahlreichen Turner-Liebhaber wohl schon deshalb nicht enttäuschen, weil sie mit einer Fülle von farbigen Blättern die formale Nähe von Aquarell und Ölbild deutlich macht. Viele Gemälde erscheinen geradezu wie "Aquarelle in Öl". Insgesamt sind 95 Werke zu sehen, darunter 15 Aquarelle, die nie zuvor ausgestellt oder publiziert worden sind. Statt "Best of Turner" wartet die von Ortrud Westheider und Inés Richter-Musso gemeinsam kuratierte Schau mit einer These auf, die die erstaunliche Modernität dieses Malers auch einem breiten Publikum plausibel erscheinen lassen dürfte. Vor allem im Obergeschoss steht man immer wieder verblüfft und fasziniert vor farbgewaltigen Bildern von enormer Dynamik, bei denen Turner die Regeln der klassischen Landschaftsmalerei längst aufgegeben hat. Es sind Kompositionen, in denen Turner schon weitgehend auf Gegenständlichkeit verzichtet und die so "modern" erscheinen, dass man kaum glauben mag, hier Kunstwerke aus dem frühen 19. Jahrhundert vor sich zu haben.

William Turner. Maler der Elemente , Bucerius-Kunst-Forum, Rathausmarkt 2, bis 11. September, tgl. 11.00-19.00, Katalog, Infos zum Begleitprogramm unter www.buceriuskunstforum.de

Abendblatt-Abonnenten haben die Möglichkeit, einen besonderen Abend in der Turner-Ausstellung zu erleben: Nachdem Sie der Geschäftsführer des Bucerius-Kunst-Forums bei einem Drink begrüßt hat, gibt es eine Einführung zu dem britischen Maler William Turner (1775-1851).

Anschließend schauen Sie sich die Ausstellung in mehreren individuellen Gruppen unter fachkundiger Führung an. Danach genießen Sie ein englisch inspiriertes Büfett im Restaurant Season.

Termin: Freitag, 17. Juni

Beginn: 19.00

Ort: Rathausmarkt 2

Karten: 38,- (inkl. Eintritt, Begrüßungsgetränk, Führung, Büfett)

Karten für diese Veranstaltung gibt es nur über die Abendblatt-Ticket-Hotline 040/30 30 98 98