Diogenes feiert Erfolge mit Romanen von Schriftsteller Georges Simenon, in denen sein Lieblingskommissar, Jules Maigret, keine Rolle spielt.

Es war ein Leben, das mit einem Kuriosum begann. Am 13. Februar 1903, einem Freitag, wird Georges Joseph Christian Simenon in Lüttich geboren, die Uhr zeigt zehn Minuten nach Mitternacht. Seine Mutter, Henriette Simenon, geborene Brüll, ist eine abergläubige Frau, und so erteilt sie ihrem Mann Désiré eine Weisung. Am Morgen darauf gibt Désiré auf dem örtlichen Standesamt den Zeitpunkt der Geburt mit zehn Minuten vor Mitternacht an. So steht es fortan im Pass: Georges Simenon ist am 12. Februar zur Welt gekommen. Ein Mythen bildender Auftakt für das Leben eines Schriftstellers.

Der Auftakt hielt, was er versprach: Georges Simenon wurde bereits vor seinem Tod zu einer Legende. Als er 1989 starb, nannte ihn "Der Spiegel" das "belgische Weltwunder".

Schuld daran ist vor allem eine Figur, Kommissar Jules Maigret. 1929 veröffentlichte Simenon den ersten Roman "Maigret und Pietr der Lette", weitere 101 Maigrets sollten folgen. 75 von ihnen hat der Schweizer Diogenes-Verlag, in dem seit 1977 das Gesamtwerk Simenons auf Deutsch erscheint, in neuer Übersetzung und sorgsam überarbeitet in den vergangenen Jahren herausgebracht. Seit Herbst sind die Non-Maigrets an der Reihe, 50 Stück insgesamt, zwei Bände je Monat. Eine editorisch verdienstvolle Tat. Im Zürcher Verlagshaus zeigt man sich nach 14 bisher vorliegenden Bänden zufrieden mit der Resonanz auf die Edition, genaue Zahlen könne man aber natürlich nicht nennen. Immerhin seien etliche Titel aus der Maigret-Reihe dreimal nachgedruckt worden. Simenon sells. Immer und immer wieder. Nur, warum? Auch weil er nicht nur "The Maigret Machine" war, wie die "New York Times" den Belgier nannte, der in Paris das Schreiben lernte. Wenngleich er mit Maigret bereits zu Lebzeiten derart verbandelt war, wie es später Henning Mankell mit Kurt Wallander und Donna Leon mit Guido Brunetti sein würden - das Geheimnis seiner Aktualität und Popularität liegt auch in den Non-Maigrets.

Es sind faszinierende Geschichten kleiner Leute, die Simenon dort erzählt, Geschichten von Verlierern, von Menschen, die im Dunkeln leben, unauffällig meist, herausgehoben aus dem Niemandsland des Seins nur von ihrem Autor. So wie in dem Roman "Der Mann, der den Zügen nachsah", erstmals 1938 erschienen. Kees Popinga, Buchhalter in einer Reederei in Groningen, hat genug von seinem schnöden Alltag mit einer Frau, die er Mutti nennt, zwei Kindern und dem Häuschen. Einmal richtig etwas erleben will Popinga, nur einmal richtig leben. Und so verlässt er eines Tages sein altes Heim. Ein Auf- und Ausbruch, der am Ende scheitert.

Gleichwohl ist Popinga - wie auch jener Maurice Arbelet, ebenfalls ein Familienvater, im dieser Tage neu erschienenen "Zum Weißen Ross" - eine Figur, in die Simenon jene Sehnsüchte gepflanzt hat, die allgemein menschlich zu sein scheinen. Die ewige Suche nach dem anderen, nach dem, was jenseits der Normalität aufscheint, gerade auch in schweren Zeiten. Insofern haben viele Romane Simenons eine nahezu religiöse Grundströmung, der Wunsch nach Erlösung liest sich in ihnen mit. Und er formuliert ihn in einer bewundernswert knappen, klaren Sprache, die in wenigen Worten Atmosphären entstehen lässt und Charaktere anschaulich macht. Auch das trägt bei zur großen Popularität des Georges Simenon.

"Die Zigarrenkisten lagen auf dem Marmorkamin, und Popinga wählte bedächtig eine Zigarre aus, schnupperte daran, während er das Deckblatt knistern ließ, denn das gehörte zum Zeremoniell, wenn man eine Zigarre zu schätzen wusste, und außerdem wurde das schon immer so gemacht."

So plastisch Simenon jene kleinbürgerlichen Verhältnisse, denen er selbst entstammte, zu beschreiben vermochte, so sehr war er zeitlebens bestrebt, sich ihrer zu entziehen. Vielleicht lässt sich auch so die unglaubliche Produktivität des Mannes erklären, der immer "mit dem Schweiß auf der Stirn" schrieb, wie er einmal notierte. Was wenig verwundert bei einem, der gut und gern ein halbes Dutzend Romane veröffentlichte, Jahr für Jahr wohlgemerkt, mehr als 200 sollten es am Ende sein. In etwa noch mal so viele Kolportageromane entstanden, knapp 20 Pseudonyme mussten dafür herhalten.

"Der Roman ist nicht bloß eine Kunst und noch weniger ein Beruf. Er ist vor allem eine Leidenschaft." So sah es Simenon. 1971 versiegte diese Leidenschaft, 18 Jahre vor seinem Tod legte er das Schreiben von Romanen zu den Akten. Und notierte fortan nur noch Biografisches.

Bis heute hat Georges Simenon weltweit - niemand kennt die genaue Zahl - zwischen 400 und 500 Millionen Bücher verkauft. Simenon, ein Phänomen. Zahlen, die Legende sind wie ihr Autor auch. "Ich erzähle eine Geschichte. Und das ist alles", hat Simenon einmal gesagt. Gut gebrüllt, Löwe, und Millionen gescheffelt. Steinreich wurde Simenon mit seinen Romanen - weitläufiger Landsitz in Connecticut, monströse Villa nach eigenen Entwürfen hoch über dem Genfer See, Rolls Royce und Dienstpersonal zuhauf verstehen sich von selbst. Da war das alte kleinbürgerliche Leben dann weit. Dessen Chronist aber blieb Georges Simenon, der Schriftsteller, der den Luxus und die inszenierte Legende liebte, in all seinen Romanen. Und kehrte am Ende des Lebens zurück zu seinen Wurzeln, die letzten Jahre verbrachte er in einem kleinen Haus in Lausanne. Gemeinsam mit seiner italienischen Haushälterin, die ihm zur Geliebten wurde.

Infos: www.diogenes.ch