Durch den Krebs haben die Frauen eine oder beide Brüste verloren. Das “Amazonen-Projekt“ inszeniert die Frauen als Kämpferinnen.

Die Amazonen leben mitten unter uns. Sie fahren mit uns in der Bahn. Sie stehen neben uns an der Supermarktkasse. Wir erkennen sie oft nicht. Sie tragen Kleider, manchmal Perücken. Jede wählt ihre eigene Rüstung. Aber wenn sie sich begegnen, wissen sie oft schon mit einem Blick, was los ist. Sie haben Schlachten geschlagen. Im Kampf haben sie viel verloren. Ihre Haare. Beide Brüste, eine Brust oder einen Teil davon. Um nicht auch noch sich selbst zu verlieren, ihre Weiblichkeit und Würde, sind sie zu dem geworden, was sie heute sind: Amazonen.

Sie haben sich nicht ausgesucht, zu diesem Volk zu gehören. Jedes Jahr kommen allein in Deutschland 57 000 Amazonen hinzu. 57 000 Frauen, die an Brustkrebs erkranken. 18 von ihnen haben im vergangenen Sommer entschieden, sich fotografieren zu lassen. Sie zeigen ihre Narben und ihre Verletzlichkeit, aber auch Witz, Kraft und Anmut. Wer sich diese Bilder anschaut, die in der kommenden Woche das Buch "Amazonen" sowie eine Ausstellung im Stilwerk präsentieren, wird bewegt und begeistert sein. Und die Frage, die in unserer optisch fixierten Welt oft so offensiv an die Oberfläche drängt, wird neue Antworten finden: Was ist schön?

Schön ist zum Beispiel, wie Mareke Feeken in Schwarz-Weiß zum Himmel blickt. Einmal ernst und unsicher. Was wird die Zukunft bringen? Auf dem zweiten Foto hoffnungsvoll und keck. Zwei Facetten ihrer selbst, zwei Seiten ihres Lebens mit der Krankheit. An ihrem linken Auge sind gemusterte Federn angebracht. Als wachsen aus den Wimpern Flügel. In spannendem Kontrast stehen sie zu Feekens Glatze, zu ihrem blanken Oberkörper, den der rechte Arm zum Teil verdeckt. Narben sind zu sehen, Muttermale, ein Ehering.

"Ich hatte gerade mein Haar verloren und meine Brust. Das, was mich äußerlich als Frau ausgemacht hat, war weg", erzählt die 44-jährige Journalistin. Im Januar 2010 bekam Feeken die Diagnose. Zur Zeit des Shootings steckte sie mitten in der Chemotherapie. "Da ist man zunächst mal völlig verstört. Aber ich habe gedacht: Das ist jetzt ein guter Moment, etwas völlig Verrücktes zu tun."

Mit drei weiteren norddeutschen Amazonen sitzt sie zu Hause in Wandsbek am Küchentisch. Bei Hanuta, Karottenschnitzen und Apfelschorle. Vier sehr unterschiedliche Frauen, die sich ohne ihre Krankheit wohl nie begegnet wären. Sie reden über das Wetter. Und über ihre Ängste. Über Kinder und Enkel, über Amputationen und Prothesen. Über Leben und Sterben. Leichtes und Schweres liegen sehr eng beieinander.

"Ich bin ja hier die Einzige mit Locken. Ihr habt die Phase alle schon durch", sagt Feeken und lacht. Wie ohnehin viel gelacht wird in dieser Runde. Während sich bei Feeken die Haare kurz kringeln, fallen sie bei Marina Schönemeier bereits wieder länger in den Nacken. Die Unternehmerin trägt mit ihren 48 Jahren sehr selbstverständlich eine pinfarbenke Bluse zum geblümten Mini. Auf ihrem Foto als Amazone hingegen sieht sie aus wie eine weise Kriegsgöttin. Der Wikingerhelm auf ihrem Kopf wirkt keineswegs absurd, sondern wie geschaffen für ein Gesicht, das Schmerz und Stolz offenbart. Der Stoff ihres grünen Kleides endet exakt so, dass die Narbe quer über ihrem Oberkörper sichtbar ist.

"Mir persönlich hat das Shooting ein gutes Körpergefühl gegeben", sagt Schönemeier. Aber, fügt sie hinzu: "Dieses Verletztsein als Frau, das dauert lange, bis man damit fertig wird". Schönemeier spricht mit tiefer, ruhiger Stimme, als sie sich an die Zeit vor dem Jahr 2009 erinnert, vor dem Krebs: "Mich hatten viele Menschen nur auf meine Brüste und meine Haare beschränkt. Wenn ich reinkam, war das Erste, was man gesehen hat, mein Riesenbusen. Ich hatte 75 D."

Was ist schön? Was anziehend? Energie zum Beispiel. Auf den Amazonen-Fotos ist sie spürbar. Verdichtet auf zwei Tage im Juni, in denen die Amazonen aus ganz Deutschland in Berlin zusammenkamen. "Zu Anfang war ich sehr verunsichert. Alle schienen so selbstbewusst. Aber in kurzer Zeit habe ich gemerkt: Die anderen Frauen geben mir Wind unter den Flügeln", erzählt Martina Rüscher mit warmem Tonfall. Die 45-Jährige, die früher als Finanzbuchhalterin arbeitete, erkrankte 2007 das erste, 2009 das zweite Mal an Krebs. Kurz darauf ließ sie sich die Brust abnehmen. "Ich will anderen Mut machen. Aber letztlich habe ich das Shooting hauptsächlich für mich gemacht", sagt Rüscher. Für einen neuen Blick auf ihr verändertes Ich.

"Gesunder Egoismus" ist ein Motto, das oft fällt. Das so manche der Frauen erst lernen musste. Der Drang zu leben, sich Freiheiten zu nehmen, wenn nötig zu erkämpfen - dieses Gefühl transportieren vor allem die Gruppenfotos der Amazonen. Auf einem der Bilder rennen sie durch ein Absperrband. Oben ohne. Oder in knappen Kleidern, die wie Kettenhemden glitzern. Allen voran Uta Melle, die Initiatorin des Projekts, die selbst beide Brüste verlor. Sie schreien. Heben die Arme. Brechen aus. "Das war für mich persönlich ein Moment, wo ich dachte: Ja, ich laufe in eine neue Zukunft", sagt Rüscher, relativiert dann aber ihre Aussage. "Das Leben ist natürlich nicht komplett anders."

Es ist schön, dass die Fotos all diese Widersprüche spiegeln. Nichts wird einfach weggelächelt. "Mit Devisen wie 'Die Krise als Chance' oder 'Smile And Die' habe ich ein Problem", sagt Feeken. Aber der Austausch und das Gemeinschaftsgefühl waren und sind wichtig.

"Du kommst dir in dem Moment nicht mehr vor wie das Stückchen Krankheit aus dem Lehrbuch", erzählt Monika Hartmann, mit 55 die Älteste der Runde. Und diejenige mit der ansteckendsten, dreckigsten Lache. "Jo, da machst du mit!", habe ihr Freund gesagt, als sie im Internet von dem Amazonen-Projekt erfuhr. "Du spinnst ja, ich altes Weib soll jetzt zum Model werden?", war ihre erste Reaktion. "Typisch Sekretärin eben. Eine, die lieber im Hintergrund die Fäden zieht", charakterisiert sie sich selbst und zupft an ihrer grauen Wohlfühlstrickjacke.

Aber dann, Ende April 2010, als gerade der Wiederaufbau ihrer Brust abgeschlossen war, da sei sie in so einer "leichtsinnigen Stimmung" gewesen.

Ihre Hände liegen auf dem Tisch, während sie erzählt. Die Rechte ist dick geschwollen. Der Lymphknoten musste entfernt werden. "Kollateralschäden", sagt Feeken. Alle nicken.

Auf ihrem Amazonen-Porträt schaut Hartmann den Betrachter direkt an. In sich ruhend. In ihrem gold glänzenden Kostüm strahlt sie heftige Gegensätze aus, die zusammen aber eine Einheit ergeben. Es scheint, als trage sie eine Rüstung, die dennoch weich und durchlässig ist. Als habe die Kamera eine tiefer liegende Schicht enthüllt. Die Seele liegt offen. Und die Haut.

"So entblößt hatte ich bis dahin viele operierte Frauen nicht gesehen", sagt Feeken. Mit dem Shooting gab es endlich einen Vergleich, was alles anders sein kann. "Mich hat noch keine Freundin gefragt: Wie sieht das denn bei dir eigentlich aus?", erzählt Rüscher. Unter den Amazonen hingegen sind Narben normal. Und die Frage "Wie geht's?" ist jeglichen Smalltalks enthoben.

Alle vier norddeutschen Amazonen haben fürsorgliche Partner und Freunde, die ihnen zur Seite stehen. Dennoch sind sie bei einem Teil des Weges auf sich allein gestellt. Und alle müssen für sich neu definieren: Was ist schön?

"Schön sind für mich Leute, die stimmig sind. Wo's passt. Die nicht aussehen, als möchten sie einem Bild entsprechen", findet Hartmann.

"Das Strahlen von innen", meint Schönemeier.

"Mut", ergänzt Rüscher.

"Für mich war es eine tolle Entdeckung, dass ich genau so eitel bin wie vorher", sagt Feeken. Und sie ergänzt: "Für mich bedeutet Schönheit, weiter danach zu streben, mich wohlzufühlen." Als Amazone. Und als Frau.

"Amazonen" wurde initiiert von der Berliner Werbekauffrau Uta Melle. Die Fotos sind von Jackie Hardt und Esther Haase. Die Texte schrieb Sophie Albers, das Vorwort Beate Wedekind.

Das Buch "Amazonen" erscheint am 8.4. im Kehrer-Verlag und kostet 30 Euro

Die Ausstellung, kuratiert von Nadine Barth: 7.4. (Vernissage 19.00) bis 7.5., Stilwerk Design Gallery (Bus 112), Große Elbstr. 68 (7. OG), Hamburg