In Luk Percevals Inszenierung von Wolfgang Borcherts “Draußen vor der Tür“ flüstert und schreit Felix Knopp den Kriegsheimkehrer Beckmann

Hamburg. Eine leere Bühne, ein gigantischer Spiegel, ein Mikrofon. Ein sinnleerer Kosmos. "Ein Mann kommt nach Deutschland. Er war lange weg. Sehr lange. Vielleicht zu lange", flüstert Felix Knopp fiebrig ins Mikrofon. Eine Gitarrenmelodie schleicht heran. Ein Rhythmus tastet sich vor. Eruptiv bricht das Rockgewitter los. Es könnte auch ein Kugelhagel sein.

Felix Knopp ist Beckmann. Der entwurzelte Kriegsheimkehrer aus Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" tost ihm durch die Blutbahn. Zu den Postrockklängen seiner dreiköpfigen Band hinter der Bühne wird Knopp zum Derwisch. Schreit, flüstert, rennt, bis die Lunge brennt. So wie er seit über vier Jahren in seinem Tribute-Abend "My Darkest Star - A Trip Along Depeche Mode" in der Bar Zentrale den mit inneren Dämonen ringenden Dave Gahan im verschwitzten Unterhemd gibt.

Die Energie dieser Auftritte sprenge den Raum, meinte eines Tages Thalia-Oberspielleiter Luk Perceval zu ihm. Die müsse er doch mal auf die große Bühne bringen. Jetzt thront Perceval in Jeansanzug mit Hut umringt von Assistenten in den Zuschauerreihen. Ab und zu stößt er sanft Befehle aus: "Bitte jetzt die Bühne drehen!" Fünf Tage vor der Premiere an diesem Sonnabend versprüht der Flame die gelassene Grandezza einer Welt- und Bühnenerfahrung, die nur wenig erschüttern kann. Auch nicht dieses Stück, das im Bühnenkanon als Aufschrei einer zuvor schweigenden Generation gilt.

"Wir wollen nicht nur die Rockattitüde auf die Bühne bringen und sagen ,jetzt sind wir cool'", sagt Felix Knopp, "sondern durch die Musik die Geschichte besser transportieren. Konventionell erzählt würde mich dieser Text nicht interessieren, als Textfläche schon." So wie der Hamburger Autor, der ihn in nur acht Tagen schwer leberkrank zwischen Herbst 1946 und Januar 1947 verfasst hat und ihn Freunden im Delirium vorlas. Sein Tod noch vor der Uraufführung mit nur 26 Jahren machte ihn zum Mythos.

Obwohl der Untertitel "Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will" lautet, wurde "Draußen vor der Tür" Borcherts erfolgreichstes Werk. Den Hörspielcharakter betont auch die Inszenierung Percevals mit ihrer strengen, konzertanten Form und einigen Textstrichen. Beckmann kehrt nach drei Jahren Kriegsgefangenschaft während des Zweiten Weltkrieges in die Heimatstadt an der Elbe zurück. Nun steht er an den St.-Pauli-Landungsbrücken. Ein Beerdingungsunternehmer und ein alter Mann - Tod und Gott - beobachten, wie er ins Wasser springt. Beckmann beklagt sein desaströses Leben, er ist invalide, ausgehungert, und im Bett seiner Frau liegt ein anderer. Doch die Elbe spuckt Beckmann am Ufer von Blankenese wieder aus. Er solle erst einmal richtig leben, getreten werden und zurücktreten. Surreale Träume plagen ihn. Er trifft unter anderem einen Optimisten, ein junges Mädchen, das ihn zärtlich "Fisch" und "trauriges Gespenst" nennt, und seinen ehemaligen Oberst. Auch der rät ihm, erst einmal ein Mensch zu werden. Nur wie? Alle Begegnungen spielen Barbara Nüsse und Peter Maertens.

Bei Perceval und Knopp wird der existenzialsitische Text zur Auflage, zur existenzialistischen Anklage, zum universellen Anti-Kriegs-Stück, das die Grenzen des Theaters beinahe sprengt. Trotz der Rockmetaphorik weist er über die jugendliche Larmoyanz und die rein aufs heimische Schicksal verengte Sichtweise hinaus, die dem Text vorgehalten wurde. "Ich möchte mich hier nicht nur als Schauspieler ekstatisch in den Beckmann reinschmeißen", sagt Felix Knopp. "Wichtiger ist, wie die einzelnen Bilder beim Zuschauer entstehen. Im Idealfall läuft bei jedem sein eigener Horrorfilm ab."

Er spüre im Theater eine latente Bremse, das Publikum wolle sich gepflegt erbauen, so Knopp. "Ich finde es gut, wenn man eine Energie in den Raum haut und schaut, was passiert." Natürlich handelt der Abend auch von Afghanistan, Somalia oder Vietnam. Für die Vorbereitung zehrt Knopp von der Begegnung mit einem ehemaligen Kommandanten, der nach einem Kriegseinsatz traumatisiert nicht mehr in sein vorheriges Dasein zurückfand.

Der Abend hat auch damit zu tun, vor verschlossenen Türen zu stehen, dort, wo der Freitod zur scheinbar letzten Option wird. Dagegen setzt Knopps Beckmann den Versuch, die Dämonen auszutanzen, rauszubrüllen wie in einer Art Geisteraustreibung. Als Gespenster der Getöteten treten Schauspieler des Thalia-Projekts "Eisenhans" auf, das seit den 90er-Jahren Schauspieler mit Handicap auf die Bühne bringt. Einer von ihnen gratuliert dem verausgabten Knopp nach der Probe. "Da ist eine Offenherzigkeit, eine Liebe, die ist umwerfend", sagt Knopp. "Wir hatten die Idee, das zu dieser düsteren Reise als Gegenprinzip auf die Bühne zu stellen."

"Draußen vor der Tür" ist ein großes Solo für Felix Knopp. Es ist auch seine vorläufige Abschiedsvorstellung. Ab dem Sommer wird Knopp, einer der profiliertesten Darsteller der Khuon-Ära, nach zehn Jahren das Thalia-Ensemble verlassen und erst einmal frei arbeiten. "Irgendwann ist es auch mal genug, und man muss weiter und sich neue Räume erobern", sagt er. Er wird nicht lange draußen vor der Tür stehen.

Draußen vor der Tür Premiere Sa 2.4., 20.00, Thalia-Theater, Alstertor, Karten T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de