Mit großer Philosophie wurde er zu einer Hamburger Institution. Heute, am 1. April, feiert der Felix Meiner Verlag seinen 100. Geburtstag.

Hamburg. Wunderbar ist die Geschichte mit der Tante aus München. Die Tante, alleinstehend und kinderlos, besaß einen echten Hodler. Die Bilder dieses Ferdinand Hodler sind ziemlich wertvoll, und das wusste der junge Manfred Meiner aus Hamburg. Also überredete er seine Tante, das Gemälde zu verkaufen. Das tat sie. Sie tauschte den Kunstgegenstand im Wohnzimmer gegen das gute Gefühl, dem Familienunternehmen einen Dienst zu tun.

Denn Meiner, geboren 1952, wollte investieren. Vielleicht musste er auch. Dem Felix Meiner Verlag, heute vor 100 Jahren in Leipzig gegründet und 1951 nach Hamburg umgezogen, ging es zwar gut, er pflegte sein Dasein in der Nische. Belieferte die Philosophie und ihre Denker mit Standardwerken, Enzyklopädien und war angesehen in akademischen Kreisen. "Aber als ich Anfang der 80er-Jahre in die Fußstapfen meines Vaters trat, wollte ich einiges ändern, wir machten ja bis dato gar nichts im Marketingbereich und waren nur Mieter im Verlagsgebäude", sagt Meiner, der Verlagschef und Geschichtenerzähler, und setzt sich erst einmal hin.

Sein Büro ist im ersten Stockwerk eines gediegenen Stadthauses, wie man es in Hamburg oft findet, aber in der Richardstraße in Barmbek-Süd nur einmal. Dieses Haus beherbergt den Felix Meiner Verlag seit den 70ern. Gekauft hat es Meiner, Verlagschef in dritter Generation, einige Jahre später. Dass er das tun konnte, lag eben auch an der generösen Tante, Meiner lacht bei der Erinnerung an seine Überredungskünste.

Duke, sein großer Jagdhund ("Der einzige Herrscher hier"), liegt faul in der Ecke, direkt neben ihm steht ein Regal mit Meiner-Büchern. Am anderen Ende des Raumes, dort, wo Meiner Platz genommen hat, ist eine Vitrine mit ganz alten Büchern, sie erschienen nicht bei Meiner. Eine Descartes-Originalausgabe, eine Cusanus-Inkunabel von 1488. Erstere kaufte Meiners Großvater Felix, der Verlagsgründer, zu Inflationszeiten, als Bücher mehr wert waren als Geldscheine. Und zu dem Cusanus besitzt Meiner auch den Umschlag mit kanadischem Poststempel. Ein jüdischer Bekannter des Vaters hatte die Inkunabel rechtzeitig aus Deutschland herausgeschafft und neben sich auch das kostbare Stück in Sicherheit gebracht. Meiner wahrt das Andenken an eine schwierige Epoche und die Wiege des Buchdrucks. Die Meiners, sagt er, "sind sentimentale Arschlöcher". Auf der Vitrine trocknet eine Rose vor sich hin, sie liegt dort seit sieben Jahren, da starb der Vater.

Diesen Vater verschlug es als Soldaten in Kriegsgefangenschaft nach Hamburg, und dort blieb er. "Mein Großvater kam als Republikflüchtling nach, der Verlag in Leipzig lag in Schutt und Asche", erzählt Meiner, der stolz ist auf die Familien- und Verlagsgeschichte. Es ist eine, die nach dem Krieg auf Neustart gestellt wurde. "Mein Vater sprach noch Sächsisch, ich bin Hamburger", sagt er. Die Sprache der Meiner-Bücher hingegen ist exakt, sie folgt der Logik der Philosophie. Sie wird nur von einem Bruchteil der Bevölkerung verstanden.

"Wir sind kein Publikumsverlag", sagt Meiner, "was wir machen, ist den allermeisten gleichgültig." Soll der Chef das beklagen oder gut finden? Im Zweifel eher gut, so konnte sein Haus, das alle mit der Philosophie Befassten eine Institution nennen, im (beinah) Verborgenen für die Verbreitung der Bücher sorgen, die manchen die Welt bedeuten und selbige wortreich erklären.

Meiner hat zwei Söhne, die er, wie er lächelnd berichtet, nach ein paar Irrungen und Wirrungen auf den richtigen Pfad geführt hat. Beide arbeiten jetzt in der Verlagsbranche, der jüngere soll bald die Geschäfte übernehmen. "Ich habe ihnen gesagt, was für ein Geschenk so ein eigener Laden ist. Man hat eine sinnvolle Aufgabe mit einem Thema, das einen permanent beschäftigt, und man bekommt hohe gesellschaftliche Anerkennung. Der Name 'Meiner' hat einen guten Klang." Dabei hat keiner der Meiners je Philosophie studiert. Manfred Meiner weiß, in welche Zeit Heidegger gehört und dass er mit Habermas genau einen lebenden Philosophen im Programm hat. Er dürfte auch referieren können, warum Hegel eine denkende Naturgewalt war. "Wer bei uns inhaltlich voll im Stoff ist, das sind die Lektoren", sagt Meiner. Er verlegt Bücher, die er selbst nicht liest.

Aber er ist der Macher, der Herr der Kasse mit konservativer Haltung, "anders geht es hier nicht". Er hält die Fäden in der Hand und koordiniert das Programm. Seine Abnehmer sind Studenten, Sammler, Universitätsbibliotheken und Philosophie-Liebhaber. Die Auflagen sind nicht hoch. Wenn sich ein Buch vierstellig verkauft, ist das nicht schlecht. Und das E-Book? "Macht uns keine Angst, bislang ist das kein Markt. Wir haben es trotzdem im Sortiment."

Felix Meiner, der Verlagsgründer, wollte ursprünglich in Leipzig bleiben und nicht weg wie die anderen. Aber dann stellte er fest, dass man sich als Verlagsinhaber nicht mit dem Sozialismus arrangieren konnte. Sein Enkel Manfred war früher, sagt er, mal Hippie. Heute trägt er Anzug und Krawatte, und er trägt die Geschichte und die Tradition immer mit sich. Nicht dass er den Familienstammbaum oder die allererste buchhalterische Aufstellung seines Opas aus dem Jahr 1911 in der Hosentasche hätte; aber er kann auf Knopfdruck von den Altvordern erzählen.

Es sei ihm lieber, "ein altes Haus zu renovieren als ein neues zu bauen". Nach der Wende hatten viele angenommen, Meiner gehe zurück nach Leipzig. Denkste: Manfred Meiner verkaufte die Grundstücke ("meistbietend!"). Heute, am 1. April, am 100. Geburtstag, steigen Familie und Belegschaft in Hamburg in den Zug. Meiner, seine Frau, die Mitarbeiter aus dem Lektorat, der Herstellung, vom Vertrieb, aus dem IT-Bereich und dem Lager, insgesamt keine 20 Leute, fahren nach Leipzig. Im Gepäck haben sie das Verlagsarchiv bis 1965. Künftig soll es seine Heimat in der dortigen Universitätsbibliothek haben.