Dave Eggers erzählt in dem Tatsachenroman “Zeitoun“ von einem Amerikaner, den die Behörden nach dem Hurrikan “Katrina“ einfach wegsperrten.

Wenn es stimmt, dass das Leben sich immer noch die besten Geschichten ausdenkt, braucht man trotzdem jemanden, der sie packend zu Papier bringt. Genau darin sieht der US-Autor Dave Eggers mehr und mehr seine Pflicht als Gegenwartsliterat und Tatsachenromancier. Dass er brillant über sein eigenes Leben schreiben kann, hat er mit Meisterwerken wie seinem Debüt "Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität" bewiesen.

Eggers hat Literaturzeitschriften gegründet und gibt Anthologien heraus, er hat Liebhaberobjekte realisiert wie die nostalgisch verklärende 330-Seiten-Ausgabe eines "San Francisco Panoramas", in der sogar Edelfedern wie Stephen King schrieben, weil sie die klassische Aura des bedruckten Zeitungspapiers ebenso lieben wie Eggers. In einem halben Dutzend US-Metropolen hat der Bestsellerautor mithilfe vieler gleich gesinnter Freunde Nachhilfezentren und Schreibwerkstätten für Immigrantenkinder eingerichtet, getarnt durch skurrile Läden für Superhelden-, Weltraum-, Zeitreisen- oder Piratenbedarf. Mit einem Satz: Dave Eggers ist einer von den ganz Guten.

Von Abdulrahman Zeitoun hörte er nur durch einen Zufall, als für das Oral-History-Buch "Voices from the Storm" seiner "McSweeney's"-Reihe Augenzeugen und ihre Geschichten gesucht wurden. Zeitoun ist ein freundlicher, von allen geachteter Bauunternehmer, eingewandert aus Syrien. Ein frommer, fleißiger Ehrenmann. Glücklich mit einer zum Islam konvertierten Amerikanerin verheiratet, vier Kinder. Und doch wurde er wochenlang in einem professionell zurechtgeschraubten Guantánamo-Verschnitt eingekerkert, weil eine explosive Gesetzeshüter-Mischung aus Polizisten, ortsfremdem Militär, Nationalgardisten und sogar Söldnern diesen harmlosen Handwerker für einen Al-Qaida-Kämpfer hielten.

Zeitoun hatte nichts weiter gemacht, als mit einem Aluminiumkanu durch die überfluteten Straßen seiner Heimatstadt New Orleans zu paddeln, um anderen Katastrophenopfern zu helfen oder herrenlose Hunde zu füttern - und sich dabei normal verhalten. Es war Sommer 2005, Hurrikan "Katrina" hatte die Stadt am Mississippidelta verwüstet. Alles war möglich in dieser Kriegszone. Man musste in diesem Chaos mit allem rechnen, warum also nicht auch mit Taliban-Terroristen? Die Angst war riesig damals.

Die Katastrophe war nicht von jetzt auf gleich losgebrochen, sie schlich sich zunächst hinterrücks in den Alltag von New Orleans ein. Erste Unwetterwarnungen, wie so oft, die üblichen Was-soll-schon-groß-passieren-Reaktionen, wie so oft. Die Leute im "Big Easy" kannten das. Womit sie nicht rechneten, war eine apokalyptische Mischung aus Naturgewalt, menschlichem Versagen und Terrorangst, die über ihre Stadt herfiel und sie ins Chaos stürzte. Zeitouns Familie war nach Florida gefahren, er blieb, um das Haus zu sichern. Was sollte schon passieren? "Er war nicht in Gefahr", schreibt Eggers über Zeitoun. "Der Sturm war vorbei, und jetzt war da nur Wasser, friedliches Wasser. Und es waren Truppen unterwegs. Kein Grund zur Sorge."

Ein Mann, ein Ort. Eine wahre Tragödie, die sich der Autor dieses Tatsachenromans über den Zeitraum von drei Jahren ausführlich berichten ließ. Eggers erzählt sie als große, mitfühlende Reportage, als Zeitdokument eines Ausnahmezustands, in dem ein normaler Bürger, nichts Böses ahnend, die Wucht eines durchdrehenden Systems erleiden muss. Eggers klagt die Machtstrukturen nicht an, er berichtet nur.

Erst nach über drei Wochen Haft gelingt es Zeitouns Frau Kathy, ihren Mann wiederzufinden. Er ist gebrochen, um Jahre gealtert. Um freizukommen, musste seine Familie eine Kaution von 75 000 Dollar aufbringen.

Dem "Guardian" sagte Kathy Zeitoun, die bis heute unter dem Trauma leidet: "Die meiste Zeit denke ich gar nicht mehr daran, was damals passiert ist - bis ich auf die Straße vor das Haus gehe. Dann ist alles wieder da." Ihr Mann kann die Aufregung um sein Handeln nach wie vor kaum verstehen. "Ich habe getan, wozu ich erzogen wurde." Die Idee, die USA nach dieser Lektion zu verlassen, sei ihm nie gekommen.

Dave Eggers "Zeitoun" Ü: U. Wasel u. K. Timmermann. Kiepenheuer & Witsch, 367 S., 19,95 Euro