Das spielerische Potenzial des Buches “Wo die wilden Kerle wohnen“ wurde mit Erfolg fürs Kino adaptiert. Autor Dave Eggers schrieb das Drehbuch.

Hamburg. Ein Kinderbuch war "Wo die wilden Kerle wohnen" eigentlich nie. Und wenn, dann nur eines für sehr unerschrockene Kinder. Zu furchteinflößend waren diese gewaltigen Kerle mit dem Zottelfell, den Hörnern auf der Nase und den leuchtend gelben Augen, deren Hauptbeschäftigung darin bestand, ordentlich "Krach zu machen". Die Welt der wilden Kerle ist die Gegenwelt zur Ordnungswelt, zum Elternhaus - auch zu dem des neunjährigen Max, in dem Krachmachen eher weniger angesagt ist und auch mal das Abendbrot vor dem Zubettgehen gestrichen wird.

Umso wichtiger sind die Träume: von einem Leben, in dem Max "König" ist und alle(s) auf sein Kommando hört. Dieser Wunsch war nun wiederum sehr kindgerecht. Und vielleicht war es diese seltsame Kombination aus Abschreckung und Anziehung, aus unbekannter Welt und Vertrautheit, die das nur 40 Seiten lange Buch von Maurice Sendak so faszinierend machte.

1963 erschienen, hat es sich weltweit rund 20 Millionen Mal verkauft. Es habe ihm als Kind Angst eingejagt, sagt der amerikanische Autor Dave Eggers, der nun das Drehbuch zum Kinofilm und außerdem noch ein Buch zum Film geschrieben hat; erst mit Anfang zwanzig habe er sich mit ihm ausgesöhnt. Und Aussöhnen muss man sich mit Sendaks Werk; es ist keines, das es dem Rezipienten leicht macht. Anders als die meisten Kinderbücher, die junge Leser entweder langweilig oder uneingeschränkt großartig finden, verselbstständigt sich "Wo die wilden Kerle wohnen" in der Fantasie und lässt sich in viel mehr als nur einer Lesart verstehen. Als Parabel etwa über den Trost von Parallelwelten, als allgemeingültige Geschichte über Orte, die uns das Wesen der Welt erklären können. Oder als Gedankenspiel dazu, was Freiheit bedeutet. Der Kinderpsychologe Bruno Bettelheim befand nach Erscheinen des Buches, "wie tief die Geschichte ein Kind traumatisieren" könne. Dabei nimmt "Wo die wilden Kerle wohnen" Kinder vielmehr ernst, ohne sich anzubiedern.

Diesen Geist haben auch Eggers und Regisseur Spike Jonze ("Being John Malkovich") beibehalten, als sie die schmale Vorlage in 100 Filmminuten verwandelt haben. Gleichzeitig haben sie das spielerische Potenzial des Buches erkannt. Sie haben Max' Zuhause eine überforderte Mutter (Catherine Keaner) und eine pubertierende Schwester angedichtet und die anonymen Zotteltiere in Charaktere verwandelt, die eine Seele besitzen, Humor, Wildheit und Zärtlichkeit. "Wir empfinden sie nicht als Monster. Wir haben sie immer als Menschen angesehen", sagt Eggers.

"Wo die wilden Kerle wohnen" ist ein eindrucksvolles Beispiel für einen Film, der seine Vorlage nicht Stück für Stück nachbuchstabiert - in diesem Fall wäre wohl nicht mehr als ein ansehnlicher Kurzfilm herausgekommen -, sondern den Kern der Geschichte herausschält und in Bilder übersetzt. Es sind Bilder, gedreht an der Südküste Australiens, bei denen einem die Augen übergehen: eine Landschaft aus Wüstensand, Meer, Felsformationen und Wald, die so schön wie unberechenbar wirkt und mal wie ein einziger großer Spielplatz, dann wie ein Tollhaus daherkommt. Bäume werden ausgerissen, als wären sie Grashalme, Holzhütten zerstört und die pelzigen Bewohner durch die Luft gewirbelt.

"Sie brüllten fürchterlich, fletschten ihre fürchterlichen Zähne, rollten ihre fürchterlichen Augen und wetzten ihre fürchterlichen Klauen", heißt es in Sendaks Buch. Diese Kerle auf der Leinwand zum Leben zu erwecken, darin bestand die wohl größte Herausforderung für Jonze und sein Team. Der Regisseur weigerte sich, sie komplett im Computer zu gestalten. Er bestand auf vier Meter großen Puppen inklusive Skelett, Muskelgewebe und Technik im Inneren für ein lebhaftes Mienenspiel der Monster. Gesprochen werden sie im Original von James Gandolfini ("Sopranos") und Forest Whitaker ("Der letzte König von Schottland"), in der deutschen Fassung u. a. von Jana Pallaske.

Bereits Mitte der Neunzigerjahre sprachen Sponze und Eggers über eine Adaption der "Wilden Kerle". Zu perfekt das Buch, zu groß die Herausforderung, daraus etwas Gleichwertiges zu schaffen, es fehlte die zündende Idee. Nun aber haben sie einen betörenden Film darüber gedreht, wie man sich fühlt, wenn man neun Jahre alt ist und die Welt begreifen will. Darüber, dass man sich manchmal wie ein König fühlt und manchmal einfach nur Kind sein will. Kein Kinderfilm, sondern einer übers Erwachsenwerden. Auch für Erwachsene.