Die Zuschauer wollten ihn gar nicht gehen lassen: Der italienische Pianist und Komponist Ludovico Einaudi verzauberte Hamburg in der Laeiszhalle.

Hamburg. Das hat die Musik von Ludovico Einaudi nicht verdient, die ja immer so zart klingt und zerbrechlich und aus dem Innersten heraus. Sie hat es manchmal nicht leicht in den großen Konzertsälen, und dann wird sie auch noch behustet, ständig und ungeniert, wie am Sonnabend in der Laeiszhalle. Darf man Menschen hassen, die husten? Natürlich darf man das nicht. Aber man darf sie vielleicht ab und an gehörig verwünschen.

Doch vielleicht ist man auch einfach nur in Sorge. In Sorge um diesen unscheinbaren Mann auf der Bühne; manchmal, wenn eines seiner Stücke zum Ende kommt, dann ist Ludovico Einaudi noch immer so sehr in ihm versunken, dass er seine Hände in Zeitlupe vom Klavier löst, das Gesicht voller Schmerz, man möchte diesen Moment nicht brechen. Nicht mal mit einem Applaus. Sollen die sich ruhig noch ein wenig weiter umarmen und aussprechen, der Ludovico und sein Piano. Denn es ist ja so: In seiner Musik erzählt Ludovico Einaudi Geschichten, er erzählt sie ohne Schleifen und Pointen. Oft denkt man, die Musik, die er spielt, diese langsamen, fließenden, fast grafischen Melodien, die entstünden da erst, im Moment des Konzerts. Er spielt ja auch immer ohne Noten.

Aber das wäre natürlich ein Wunder (und ist nicht ohnehin das viel größere, dass man denkt, es wäre so?). Nach der ersten Stunde nimmt sich der 1955 in Turin geborene Pianist und Komponist das Mikrofon, er möchte etwas erklären - wie das Stück entstanden ist, das er kurz darauf spielt. Es ist von seinem Album "Divenire".

Er sei eingeladen gewesen, erzählt der weißhaarige Mann, zu einem Musikfestival in den Dolomiten. Für das habe er ein Stück schreiben wollen. Da habe er sich gefragt, wie die Menschen ihre Berge wohl sehen, und ist ins Museum gegangen. Dort hat er den österreichischen Maler Giovanni Segantini (1858-1899) entdeckt, seine Bilder haben ihn fasziniert, vor allem wegen des Lichts. Die Menschen in der ausverkauften Laeiszhalle hören ihm zu. Kaum einer hustet.

Und dann beginnt "Divenire", mit einem so kristallinen, ätherischen Klang, dass man selbst schon das Licht sieht, das Segantini gemeint hat: Ach, so sieht das aus! Und da hat man ihn wieder, diesen Moment, so rutscht man nämlich rein in die Musik von Ludovico Einaudi, für die man kein Wissenschaftler zu sein braucht, nicht einmal Experte. Man sollte einfach nur ein Herz haben. Tänzer lieben seine Musik, bestimmt sind an diesem Abend einige hier. Schließen die Augen und sehen seine Bilder, sehen sie getanzt.

Einaudi spielt mehr als zwei Stunden, aber die Zuhörer lassen ihn nicht gehen. Und dann steht er, der schon vor Tausenden gespielt hat, in Paris, London oder Mailand, auf der Bühne der Laeiszhalle, als hätte er gerade einen großen Boxkampf gewonnen: Die rechte Hand schlägt aufs Herz, Verneigungen. Dann ballt er die Hand zur Faust, reckt sie nach oben, winkt noch einmal - und geht ab. Da stehen die Leute und klatschen noch immer.