Keine Zärtlichkeit für Bibi: Degen nimmt das Leben des jüngsten Sohnes von Thomas Mann unter die Lupe - der eigentlich nie gewollt war.

Kammerspiele. Schon als Säugling spürte er, dass er ungewollt war und eigentlich nur geduldet wurde. "Misstrauisch beäugte er seine Eltern und verbrüllte fast sein ganzes Babydasein. Dieser wütende Protest mochte vielleicht auch von daher kommen, dass er sich mit der Lieblosigkeit seiner Umgebung nicht abfinden wollte", schreibt Michael Degen über Michael Thomas Mann, das sechste, jüngste und wahrscheinlich unglücklichste Kind des deutschen Großschriftstellers.

"Familienbande" heißt das eben erschienene Buch, in dem der Schauspieler und Schriftsteller Michael Manns tragisches Leben als Roman erzählt. Auf Einladung der Buchhandlung Heymann liest er heute Abend in den Kammerspielen aus seinem Buch.

Ein Roman ist keine Biografie, er lässt Raum für Fiktives, bietet die Chance, sich einer Persönlichkeit besonders intensiv anzunähern, Leerstellen erzählerisch auszufüllen und Dinge, die ein Biograf allenfalls eine begründete Annahme nennen dürfte, als Geschehen nachvollziehbar darzustellen. Degens Bibi - so wurde Michael in der Familie genannt - ist daher zwar eine literarische Figur, doch sie dürfte dem historischen Michael Mann sehr nahekommen. Degen schildert dieses Leben sehr präzise auf der Grundlage der zahlreichen Dokumente, Erinnerungen und Selbstzeugnisse der Familie Thomas Manns, über die so viel bekannt ist wie über keine andere deutsche Schriftstellerfamilie.

Eine der wichtigsten Quellen waren die Tagebücher von Thomas Mann, in denen dieser mit einer Kälte, die manchmal den Atem stocken lässt, über seine Kinder urteilt, Sympathien und Antipathien klar vereilt. Erika und vor allem Elisabeth begegnete er mit zärtlicher Liebe, während er Klaus und Golo bestenfalls akzeptierte und Monika für beschränkt hielt. Dass Pielein, wie Thomas Mann von den Kindern genannt wurde, Bibi nicht liebte, spürte dieser nicht nur deutlich, er musste es auch nachlesen: Elf Jahre war er alt, als sein Bruder Klaus ihn auf die vernichtende Charakterisierung in der Novelle "Unordnung und frühes Leid" aufmerksam machte. Michael hatte Wutanfälle, war schwer erziehbar und kam schließlich in eine private Internatsschule.

Er lernte schließlich Bratsche und Violine, wurde Musiker, gab den Beruf aber 1957 auf, um Germanistik zu studieren. In Berkeley reifte er zum Professor, bevor er in der Neujahrsnacht 1977 an einer unheilvollen Mischung aus Alkohol und Schlafmitteln starb - womöglich ein Suizid. Dass Katia Mann zwei Jahre zuvor ausgerechnet den ungeliebten Michael damit beauftragt hatte, die Edition der Tagebücher des verstorbenen Vaters zu betreuen, hält Michael Degen für regelrecht unfassbar.

Aus Thomas Manns Notizen musste der jüngste Sohn erfahren, dass sein Vater eigentlich eine Abtreibung befürwortet hatte. "So ist festzustellen, dass ich für den Knaben bei Weitem die Zärtlichkeit nicht aufbringe, wie vom ersten Augenblick an für Lisa, - was Wunder nehmen könnte", hat Thomas Mann notiert - ein Zitat, das Degen seinem fesselnden biografischen Roman vorangestellt hat.

Michael Degen liest aus seinem Roman "Familienbande", heute, 20.00, Kammerspiele (U Hallerstraße), Hartungstraße 9-11, Eintritt 12,-