Erlend Krauser spielt in der Band von James Last

Gut möglich, dass Erlend Krauser genau 5615 Fans hat. So oft wurde jedenfalls bisher das Video bei der Internetplattform YouTube aufgerufen, in dem der Hamburger Gitarrist vor zwei Jahren bei dem Moskauer Konzert des James-Last-Orchesters drei Minuten und 31 Sekunden im Rampenlicht steht. Wenn James Last am 19. März mit seinen 36 Musikern in der O2 World in Hamburg auftritt, werden wieder einige Besucher nur deswegen kommen, um dieses unglaubliche Solo zum Christina-Aguilera-Hit "Hurt" zu hören.

5615 Fans sind im Facebook-Zeitalter eine verschwindend geringe Menge. Aber Erlend Krauser, 52, hat auf seiner Gitarre nie Musik für Millionen gemacht. Dazu war sein Weg bis hierher zu steinig.

Als Erlend 19 Jahre alt ist, hat er genau fünf Minuten Zeit, um sich zu entscheiden, seine Heimat zu verlassen. Nicu Covaci steht im Mai 1977 plötzlich vor den jungen Mitgliedern der Folkrockband Phoenix in der rumänischen Stadt Timisoara und fragt: "Wer will mit in den Westen?"

Covaci hatte Phoenix, 15 Jahre früher, 1962 als Schülerband gegründet, die rumänische Antwort auf Jethro Tull gewann schnell und landesweit an Popularität. "Von der ersten LP wurden 20 Millionen Scheiben verkauft", sagt Erlend Krauser. In einem Land mit 20 Millionen Einwohnern. "Wir waren die Rolling Stones Rumäniens." Sie waren auch langhaarig und den diktatorischen Machthabern um Nicolae Ceausescu ein Dorn im Auge. Es folgten TV- und Auftrittsverbote. 1974 ging Covaci nach Amsterdam ins Exil.

Drei Jahre später kehrte der Sänger und Gitarrist in seine Heimat zurück. Aber nur, um die Bandkollegen aus Rumänien rauszuholen. Er hatte alles vorbereitet. Einen Mercedes 407 Transporter, im Laderaum vier ausgehöhlte Marshall-Lautsprecherboxen. Drumherum drei Kilo Schafskäse, Unmengen luftgetrockneter Wurst voller Knoblauch und ein 100-Liter-Fass Dieselbenzin, damit die Wachhunde an der Grenze sie nicht witterten. "Wer nicht mitwill, den schließe ich hier bei meiner Mutter ein, bis wir über die Grenze sind", sagte Nicu. Alle wollten mit.

Sie zwängten sich in die Boxen, Knie unters Kinn, und nahmen Pillen zur Beruhigung. "An der Grenze blieb die Zeit stehen", sagt Erlend. Sie hörten die Grenzer mit den Hunden und spürten, wie kurz darauf die Boxen angehoben wurden. "Du merkst, wie du panisch wirst, und darfst dich nicht rühren", sagt Erlend. Nach einer Ewigkeit setzte der Mercedes seine Fahrt fort. Kurz vor der Bewusstlosigkeit gingen die Türen auf. Sie waren in Jugoslawien.

Erlend Krauser ist heute Orchestermusiker, wenn man so will. Er ist auch Komponist und Töne-Erfinder. Und hat gerade seine siebte CD produziert. "It" heißt der fulminante Tonträger ( www.erlendkrauser.de ) mit neun Stücken, die Wucht und Leichtigkeit paaren, mal laut und wütend, dann wieder harmonisch und verspielt sind. Und immer ergreifend.

Er kann die Gitarre so spielen, wie ein Sänger singt. Hat täglich zwei Stunden geübt, um seine Wahrnehmung zu erweitern. "Winkelblick" nennt er das.

Der CD liegt eine DVD bei. Der Film zeigt seine Rückkehr in die Heimat. Nach 31 Jahren ist Erlend Krauser vor zweieinhalb Jahren nach Timisoara zurückgekehrt. Mit welchen Gefühlen? "Mit Freude", sagt er. Und einem hüpfenden Herzen und Schmetterlingen im Bauch. "Kennen mich die Menschen noch?", hat er sich gefragt. Und dann festgestellt: "Sie haben mich nicht vergessen." Erlend Krauser hat in Timisoara ein umjubeltes Konzert gegeben. Mit seinem Bruder Dixi am Bass.