Sie heißen Angie, Lola, Lucy oder Peggy Sue. Ein Buch widmet sich jetzt der Reise durch die Musikgeschichte, in der Mädchennamen ein Gesicht bekommen.

Lucy O'Donnell war vier Jahre alt, als Julian Lennon ein Bild von ihr malte, den blauen Himmel mit Sternen versah und es dann zu Hause seinen Eltern zeigte. "Guck mal, Dad, das ist Lucy im Himmel mit Diamanten", sagte Julian zu seinem Vater John. Lucy und Julian gingen in den Heath-House-Kindergarten in Weybridge, knapp 30 Kilometer südöstlich von London. Julian wurde damals, im Sommer 1967, jeden Tag von einem Chauffeur in einem bunt angemalten Rolls-Royce in den Hort gebracht. Vater John nahm das Bild, dachte sich eine Geschichte über das Mädchen unter dem Sternenhimmel aus und machte daraus einen Song: "Lucy In The Sky With Diamonds". Es wurde eines der bekanntesten Lieder der Beatles.

Ohne Musik, hat der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche gesagt, wäre das Leben ein Irrtum.

Große Songs sind wie das wahre Leben. Sie sind wunderbar und können sehr verwirrend sein. Sie sind aufregend wie die neueste Freundin oder vertraut wie ein ganz alter Bekannter. Sie sind ergreifend schön oder schrecklich traurig, mal einfältig und mal klug.

Große Songs funktionieren auf einer Mega-Party oder am einsamen Strand. Sie sind buchstäblich ohrenbetäubend. Sie rauben einem den Schlaf und manchmal auch für kurze Zeit den Verstand. Und sehr oft beschreiben sie einen geliebten Menschen. Dann verwandeln sich unbeschreibliche Gefühle in wundervolle Töne.

Über die Entstehung des Welthits "Lucy In The Sky With Diamonds" gab es viele Jahre lang eine ganz andere Version. Der Titel trägt nämlich die Abkürzung LSD in sich, und in Musikerkreisen wurde seit jeher über den regen Konsum von Drogen äußerst kontrovers diskutiert.

Michael Heatley aber erzählt nun in seinem Buch "Das Mädchen aus dem Song" die Geschichte aus dem Kindergarten. Lucy übrigens, die zu ihrer Hochzeit 1996 noch eine Glückwunschkarte von Julian erhalten hatte, konnte sich später noch daran erinnern, dass Julian Lennon der mutigste Junge im Kindergarten war. "Einmal sprang er in den eiskalten Swimmingpool." Das Lied jedoch hat ihr nicht besonders gefallen. Als sie es als Teenager das erste Mal hörte, erzählte sie ihren Freunden, dass sie die besagte Lucy sei. Man glaubte ihr nicht und erklärte ihr, dass der Song von LSD handele. Lucy wollte sich nicht streiten, "weil es mir peinlich war, nicht zu wissen, was LSD überhaupt war". Lucy lebt nicht mehr, sie starb 2009 an den Folgen einer Infektion.

Das bunte Kinderbild, das den 1980 in New York ermordeten John Lennon zu dem Song inspirierte, ist spurlos verschwunden. "Es wird vermutet", schreibt Buchautor Heatley, "dass es sich in Cynthias Besitz befindet." Cynthia, Lennons erster Frau, von der er sich 1968 scheiden ließ, um ein halbes Jahr später Yoko Ono zu heiraten.

Die Frage nach dem Verbleib der Kinderzeichnung ist eine der wenigen, die Heatley nicht beantwortet. Der bekannte britische Musikjournalist hat sich 50 Klassiker der Rock- und Popmusik herausgesucht und die Geschichten hinter den Songs recherchiert. Die Lieder kennt jeder. Was sich dahinter verbirgt, wissen nur wenige. Und oft sind Musikstücke Anlass für die wildesten Spekulationen. Vor allem dann, wenn sie einer Frau gewidmet sind. Über die Jahre sind die seltsamsten Mythen entstanden. Aber was entspricht nun der Wahrheit?

Heatley hat sich also auf Spurensuche begeben. Im Mittelpunkt stehen nicht die Songschreiber sondern die beschriebenen Frauen. Heatley räumt mit Missverständnissen auf und enthüllt ein spannendes Stück Musik-Geschichte. Wer sind neben Lucy die anderen berühmten Frauen aus den Welthits? Welche Legenden oder wahren Begebenheiten verbergen sich hinter Lola oder Peggy Sue? Gab es das "Girl from Ipanema" wirklich?

Und handelt es sich bei Angie von den Rolling Stones tatsächlich um ein Liebeslied für David Bowies damalige Ehefrau Angela? Mick Jagger und Keith Richards haben die Ballade geschrieben. Ende 1972 nahmen die Stones die Single auf, die sich weltweit mehr als 2,2 Millionen Mal verkaufte. Jagger selbst hat die Gerüchte stets vehement dementiert. Der Song sei im Grunde von Keith, er selbst habe nur die Lücken gefüllt. "Und ich glaube, ich hatte Angela Bowie noch nicht einmal kennengelernt, als ich den Text zu Ende geschrieben habe."

Angela selbst trug zur Verwirrung bei. In ihren Memoiren deutete sie an, David Bowie und Mick Jagger hätten ein Verhältnis gehabt, weil sie die beiden eines Morgens zu Hause nackt in einem Bett vorgefunden hat. Hat Jagger, fragt Heatley, ihr den Song "Angie" als Entschuldigung geschrieben?

Andere vermuten, Jaggers Inspirationsquelle sei Marianne Faithfull gewesen. Seine Geliebte, von der er sich kurz zuvor getrennt hat. Manche meinen auch, dass der Song Jaggers Abschiedslied an die Drogen gewesen sei, da "Angie" im Englischen als Codename für Kokain benutzt wurde.

Die Auflösung liefert Keith Richards. "Ich hatte mir die Akkordfolge ausgedacht. Der Titel hätte auch Randy oder Mangy heißen können", erzählt der Stones-Gitarrist. "Aber als ich ihn schrieb, wurde meine Tochter Angela geboren. Der Name schwirrte durchs Haus. Angie passte einfach."

Über Lola, den Mitgröl-Hit der Kinks, gibt es immerhin nur zwei Versionen. Und in keiner, schreibt Heatley, "geht es tatsächlich um ein weibliches Wesen". In der ersten Version soll sich Kinks-Manager Robert Wace während einer wilden Party in eine dunkelhäutige Frau verguckt haben - die sich morgens um sechs Uhr als Mann entpuppte. Das Musikmagazin "Rolling Stone" dagegen behauptet, dass der New Yorker Transvestit Candy Darling, mit dem Kinks-Sänger Ray Davies angeblich etwas gehabt habe, als Vorlage für den Song diente. Belegt ist auch das nicht.

Unbestritten hingegen ist, dass Candy Darling, die 1974 an Leukämie gestorben ist, andere Musiker zu großartigen Songs inspiriert hat. In "Candy Says" von Velvet Underground geht es um ihre Unentschlossenheit, ob sie eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen soll. Und Velvet-Gitarrist Lou Reed widmete ihr zwei Zeilen in seiner Hymne "Walk On The Wild Side": "Candy came from out on the island, in the backroom she was everybody's darling."

Neben Peggy Sue von Buddy Holly oder Rosanna von Toto ist Heatley auch Frauen ohne Namen nachgestiegen. Wie dem "Uptown Girl" von Billy Joel, komponiert im Karibik-Urlaub. Joel saß in der Hotelbar am Klavier, als die Supermodels Christie Brinkley, Elle Macpherson und Whitney Houston nach einem Fotoshooting plötzlich vor ihm standen. "Ich blickte auf und dort standen diese drei wunderbaren Frauen", erzählte Joel, der erst eine Romanze mit Macpherson hatte und danach neun Jahre mit Christie Brinkley verheiratet war. "Sie sahen mich über das Piano hinweg an. Ich schaute wieder nach unten auf das Klavier und sagte einfach nur: 'Danke."

Von ähnlicher Faszination war das "Girl from Ipanema". Heloisa Eneida Menezes Paes Pinto war 15 Jahre alt und lebte in der Montenegro Street in der exklusivsten Wohngegend von Rio de Janeiro. Sie ging jeden Tag an den Strand und spazierte dabei stets am Café Veloso vorbei.

Das Veloso war der Treffpunkt des Dichters Vinicius de Moraes und des Musikers Antonio Carlos Jobim. In dem Song beschreiben sie, wie das bildhübsche Mädchen die Aufmerksamkeit aller auf sich zog: "But each day, when she walks on the sea, she looks straight ahead not at me." Das Lied verhalf den Interpreten Stan Getz und Astrud Gilberto zu weltweitem Ruhm. Und weil viele Frauen behaupteten, sie hätten de Moraes inspiriert, erklärte der Dichter in einer Pressekonferenz, dass es wirklich Heloisa gewesen ist, die er beschrieben hat. "Sie ist ein Goldmädchen, eine Mischung aus Blume und Meerjungfrau, voller Licht und Grazie. Aber sie ist auch traurig, weil sie spürt, dass die Jugend nicht von Dauer ist. Dass Schönheit vergeht."

Für Heloisa galt das nicht unbedingt. Sie war 42 Jahre alt, als sie 1987 im brasilianischen "Playboy" abgelichtet wurde. Für den sie 2003 noch mal zusammen mit ihrer Tochter posierte. Als sie in Rio eine Boutique mit dem portugiesischen Titel des Hits, "Garota de Ipanema", eröffnete, bekam sie Ärger mit den Kindern von de Moraes und Jobim. Ein Gericht entschied zu ihren Gunsten. Nicht immer stieß Michael Heatley auf real existierende Frauen. Der Beatles-Song "Lovely Rita" handelt von einer imaginären Politesse, die Paul McCartney in der Nähe der Abbey Road Studios in London ständig Strafzettel verpasste. Auch wenn die Polizistin Meta Davies später behauptete, sie sei das Mädchen aus dem Song gewesen.

Willi Andresen, 58, einer der renommiertesten deutschen Musikjournalisten, ist von dem Buch aus mehreren Gründen angetan. "Die Idee ist klasse. Das Buch liest sich gut und ist auch ein tolles Nachschlagwerk", sagt der Hamburger. Durch die Geschichten von Heatley würden die Mädchennamen aus den Songs plötzlich zu sehr lebendigen Figuren und bekämen jetzt ein Gesicht. "Dadurch kriegen die Lieder noch einmal eine ganz andere Ebene", sagt Andresen, der sich nach der Lektüre sofort noch einmal einige in dem Buch beschriebene Stücke angehört hat. "Manche Geschichten kannte man schon", sagt Andresen, "aber Heatley hat auch ein paar Geheimnisse gelüftet."

Die meisten musikalischen Liebeserklärungen aber, das wissen wir, sind Kompositionen, die aus den verschiedensten Gründen (noch) nicht zu Welthits wurden. Auch sie beschreiben die Freundin, die Geliebte, die Frau. Manchmal werden ihre Namen genannt. Und manchmal handeln die Songs auch einfach nur von dem Stern, dem Schatz oder dem Wunder.

Oder von der Zauberin.

Peggy Sue

"If you knew Peggy Sue

Then you'd know why I feel blue without Peggy, my Peggy Sue

Oh well I love you girl, yes I love you Peggy Sue."

Peggy Sue Garron war die Freundin von Buddy Hollys Drummer Jerry Allison. Holly starb 1959 bei einem Flugzeugabsturz. "Er hatte die Idee zum Song mitten in der Nacht und ihn nach mir benannt", sagte sie.

Sweet Caroline

"Sweet Caroline

Good times never seemed so good

I've been inclined

To believe they never would

Sweet Caroline."

Neil Diamond schrieb den Song über die amerikanische Präsidenten-Tochter Caroline Kennedy 1969 im Hotelzimmer in Memphis. "Ich sah das Foto von ihr und spürte sofort, dass ein Song darin steckte."

Rosanna

"Not quite a year since she went away, Rosanna yeah

Now she's gone and I have to say

Meet you all the way."

David Paich, Keyboarder von Toto, schrieb den Song 1983. "Es geht um drei Mädchen, die ich kannte und in einer Person zusammengefasst habe. Es fehlte ein Titel. Rosanna Arquette war zufällig da, ihr Name passte perfekt zum Takt."