Alles politisch? Wie sich Regisseur Andres Veiel an der deutschen Geschichte abarbeitet, Gudrun Ensslins Sohn hilft ihm dabei

"Wer wenn nicht wir"-Regisseur Andres Veiel interessiert vor allem die Psychologie des deutschen Terrorismus. Bereits in der Dokumentation "Black Box BRD" rekonstruierte er die Vorgeschichte der RAF.

Hamburger Abendblatt:

Es hat schon viele Filme gegeben, die sich mit der RAF beschäftigen. Warum greifen Sie dieses Thema erneut auf?

Andres Veiel:

In Eichingers "Baader Meinhof Komplex" kämpfen junge Leute gegen faschistoide Elternhäuser. In meinem Film sollte deutlich werden, dass diese Eltern eben keine Mitläufer waren. Bei Andreas Baader habe ich das nur angedeutet, bei Gudrun Ensslin auserzählt: Sie waren beinahe Widerstandskämpfer. Vater Ensslin sagt nach einem Streit über sein angebliches Mitläufertum zu seiner Tochter: "Du kannst es doch besser machen." Seine Schuld ist, nicht gehandelt zu haben. Das Tragische daran war, dass er diesen Auftrag in einer Situation weitergegeben hat, als es nicht nötig war, in den bewaffneten Kampf zu gehen.

Gudrun Ensslin sagt später: "Ich möchte mir nicht den Vorwurf machen, etwas erkannt und nicht gehandelt zu haben."

Veiel:

Ich wollte sie eben nicht mit den Etiketten "durchgeknallt" und "kriminell" versehen. Das paranoide System von Gudrun Ensslin hatte einen rationalen Kern. Es gab die Liebesgeschichte, aber durchaus auch reale politische Antriebe für die bewaffnete Eskalation.

Es gab zahlreiche Beziehungsprobleme zwischen Ensslin und Vesper. Spiegelt sich hier der Zeitgeist der sexuellen Befreiung wider?

Veiel:

Sie hatten literarische Vorbilder in Hans Henny Jahnns "Das Holzschiff", aber auch filmische in "Jules et Jim". Für Andreas Baader war Gillo Pontecorvos "Schlacht um Algier" ein wichtiger Film, in dem die privaten Beziehungen zugunsten des bewaffneten Kampfes zurückstehen müssen. Auch in Buñuels "Viva Maria" findet man anarchistische Momente und Situationen, in denen Liebesverhältnisse auf den Kopf gestellt werden. Es war aber auch ein Ausbruchsversuch. Damals war es im sogenannten "Kuppelei-Paragrafen" noch unter Strafe gestellt, wenn man ein Pärchen bei sich übernachten lassen hat, das nicht verheiratet war. Dadurch war es auch wieder politisch. Aber natürlich lässt sich das Phänomen RAF nicht aus Beziehungen heraus erklären.

Sie haben gesagt, dieses ungewöhnliche Trio haben letztlich "unkontrollierbare Fliehkräfte" auseinandergezogen?

Veiel:

Die Beziehungsprobleme wurden durch politische Treibsätze beschleunigt. Damals sagte Rudi Dutschke: "Wer wenn nicht wir. Wann wenn nicht jetzt." Das war ein Katalysator in dieser Zentrifuge. Wenn man die Welt verändern kann, was ist dann eine Beziehung?

Haben Sie im Vorfeld des Films Kontakt zu den Familien gehabt? Was haben sie beigesteuert?

Veiel:

Nicht zu allen. Ich habe aber viel mit der Schwester von Bernward Vesper gesprochen. Mit einer Schwester von Gudrun hatte ich mehrfach Kontakt, die andere hat sich verweigert. Da geht ein Riss mitten durch die Familie.

Und Felix Ensslin, der Sohn von Gudrun und Bernward?

Veiel:

Er war ganz wichtig. Ohne ihn hätte ich den Film nicht machen können. Ganz am Anfang hat er mal gesagt, eigentlich müsste er den Film selbst machen. Aber wenn er es nicht machen würde, sollte ich es sein.

Das ist ein Riesenkompliment.

Veiel:

Es war ein großes Vertrauen, aber auch eine große Bürde. Er hat den Film jetzt gesehen. Nächste Woche werden wir uns darüber unterhalten.