Die Regisseurin Gisèle Viennes spielt in “This Is How You Will Disappear“ mit den Urängsten von Städtern und den Mysterien der Ewigkeit.

Hamburg. Dunkel ist der Wald, er wirkt erwartungsvoll. Undefinierbare Geräusche wehen hinüber in den Zuschauerraum. Die Tonspur hebt und senkt sich, hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu.

In ihrer Produktion "This Is How You Will Disappear", die jetzt an zwei Abenden auf Kampnagel zu sehen war, spielt die österreichisch-französische Regisseurin Gisèle Vienne mit den Urängsten, die Städter überfallen, wenn sie auf unverstellte Natur blicken. Obwohl: Es ist eher ein Dickicht des Ungewissen. Das wohl vom sauren Regen verdorrte Geäst erzählt von den Mysterien des Lebens und der Ewigkeit.

Die Zivilisation sorgt nur kurz für scheinbare Vertrautheit. Ein Trainer (Jonathan Capdevielle) übt mit seiner Athletin (Margrét Sara Gudjonsdottir) rhythmische Sportgymnastik auf dem Waldboden. Elegant legt sie ihre Saltos hin. Doch der Trainersatz: "Wenn du nicht perfekt bist, werde ich dich töten", zerfetzt die vermeintliche Idylle.

Schon türmen sich wieder die Soundwälle auf, die der Drone-Metal-Experte (minimalistischer, langsamer und weitgehend strukturloser Metal) Stephen O'Malley und der Experimental-Musiker Peter Rehberg aus Postrock-Gitarren und progressiver Elektronik zusammenschweißen. Stimmengewirr ertönt. Eine gigantische Nebelwand erhebt sich und verschluckt in einem Kampf die sich in Zeitlupe aufbäumende Turnerin. Die Nebelskulpturen der Japanerin Fujiko Nakaya sind nicht umsonst so berühmt, dass sie sogar ins Guggenheim-Museum von Bilbao Eingang gefunden haben.

Als der Spuk vorüber ist, streift ein Rocker (Jonathan Schatz) im Glam-Kostüm durchs Geäst auf der Suche nach Heilung, Läuterung. Kann es einen stärkeren Kontrast geben? Die letzte Coolness legt er mit der Lederjacke ab. Seine Freundin hat er gemeuchelt, beichtet er dem Trainer, der ihn daraufhin im Zweikampf stellt.

Das Beziehungsgeflecht des Trios bleibt in dem wortkargen Text von Dennis Cooper so undurchsichtig und rätselhaft wie die jüngeren David-Lynch-Filme. Aber auch genauso magisch. Und wie dort lauert auch hier unter der scheinbaren Schönheit die Bestialität.

Am Ende steht fest, dass die Natur immer das letzte Wort hat

Erst am Schluss löst sich die Magie auf. Wenn Vienne die Erzählung mit dem Bild lebensgroßer Puppen konterkariert, die unter einem futuristischen Regenpodest campieren und ein Bogenschütze Pfeile auf einen Baum abgibt. Wenn dann ein sehr lebendiger Greifvogel und eine meckernde Schneeeule über die Bühne flattern, steht fest, dass die Natur immer das letzte Wort hat. Ein Glück.

Die Wucht der Imagination in Verbindung mit dem Authentischen der Elemente setzt bei diesem schön-schaurigen Gesamtkunstwerk aus bildender Kunst, Performance, Tanz und Musik die Fantasie in Gang.

Für diese konsequente Formstrenge betreibt Gisèle Vienne einen hohen technischen Aufwand. Ihr Stab umfasst auch Vogelbetreuer und Baumpräparatoren. Eine Performance wie ein nachhaltiger Anschlag auf alle Sinne. Toll.