Komödiantin Karin Neuhäuser gelingt mit ihrem “Wie lautet noch die unvergessliche Zeile“ ein unvergesslicher Abend im Thalia in der Gaußstraße.

Hamburg. "Wie lautet noch die unvergessliche Zeile ...", fragt Karin Neuhäuser mit der Winnie in Samuel Becketts "Glückliche Tage" bei ihrem großartigen Soloabend im Foyer des Thalia in der Gaußstraße. Sie schwankt im Garderobenmantel auf die Bühne. Voll geschminkt, aber nicht mehr ganz nüchtern. Sie ruft ins Publikum: "Hallo, wo seid ihr?", stolpert, fällt und rappelt sich wieder - ganz Dame - zu ihrer Show auf. Neuhäuser spielt und singt, sie raucht und trinkt, mit und ohne Mikrofon - wie schon zahllose Chansonnetten vor ihr.

Doch der Superkomödiantin gelingt ein unverwechselbarer Abend und im Spiel mit ihren Rollen auch eine sehr persönliche Reflexion über das zweite Leben im Rampenlicht. Im bravourösen Balanceakt zwischen Sein und Schein räsoniert Neuhäuser mit grimmiger Selbstironie über die Einsamkeit und Kunst, die Liebe, Lust und das Leid. Vor allem aber über die Komik und Tragik des Alterns. "Ich war nicht der Schauspieler, ich war sein Spiel."

Neuhäusers Winnie steckt nicht bis zum Hals im Sandhügel, sondern im eleganten Nerz beim divenhaften Posieren zwischen Kerzenleuchtern und Rummelplatzlämpchen auf der samtroten Chaiselonge. Winnie ist nur eine von vielen Frauenfiguren aus der dramatischen Weltliteratur, die sie beim Erinnern an vergangene Männer und Stücke anspielt und in der Rekapitulation improvisatorisch bricht.

Aber wie der Winnie ihr Willie, sekundiert Neuhäuser bei der Lieder- und Text-Collage ebenso ein beinahe stummer Partner: der musikalisch beredte Begleiter Philipp Haagen vom Deutschen Theater Berlin. Im weißen Brokatkleid gibt der mädchenhaft langhaarige Pianist an Flügel und Hammondorgel ihr jüngeres Alter Ego, die Bild und Körper gewordene Erinnerung an schönere und glücklichere Jugendzeiten.

Von Goethes Gretchen am Spinnrad im "Faust" und der Hure Marion in Büchners "Dantons Tod" über die Provinzmimin Arkardina aus Tschechows "Die Möwe" und der Blanche Dubois in Williams' "Endstation Sehnsucht" bis zur zynischen, scharfen Marquise de Mertieul in Heiner Müllers "Quartett" spannt Neuhäuser den Bogen weiblicher Charaktere.

Sie schlüpft in die Rollen, um dann wieder für Momente die Maske der Rampentigerin fallen zu lassen: Die Grenzen zwischen Sein und Spielen verschwimmen. Ihre Szenen kommentiert die Schauspielerin mit Chansons von Boris Vian, Friedrich Hollaender ("Ich bin von Kopf bis Fuß ..."), Bertolt Brecht, Barbra Streisand ("Free Again") oder Violeta Parras Lebenshymnus "Gracias a la vida".

Diese singt sie mit einer Ausdrucksskala und Stimme zwischen hauchzartem Mädchensopran, rauchigem Diseusenmezzo und ordinärem Damenbass. Ganz beiläufig persifliert sie dabei Stars aus der Galerie der Film-Zicken und Glamour-Schabracken von Bette Davis und Tallulah Bankhead über Joan Crawford, Zarah Leander, Marlene Dietrich und Hildegard Knef bis zur Almovodar-Katastrophenkuh Marisa Paredes.

Übrigens fasst die "unvergessliche Zeile", die der Winnie entfallen ist, das so schmerzhafte wie wundervolle Lebensdrama, von dem Karin Neuhäuser so berührend wie unterhaltsam erzählt, kurz und bündig zusammen: "Wildes Lachen ... unter schwerstem Weh."