Mit Liszt zu Simone Young: Der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim spielt mit den Philharmonikern zwei Klavierkonzerte von Franz Liszt.

Hamburg. Nach einem hauchzarten, luzide dahinfließenden Chopin-Nocturne und dem satt ratternden Minutenwalzer gefeiert zu werden, als habe man gerade das Schwarzbrot neu erfunden, ist nur wenigen vergönnt. Und noch weniger Pianisten ist es vorbehaltlos zu gönnen. Doch wenn sich ein Star wie Daniel Barenboim in der Laeiszhalle einfindet, gelten beim nicht eben durchgängig verwöhnten Hamburger Publikum sowieso eigene Gesetze.

Dann macht es auch nichts, dass der Mentor von Generalmusikdirektorin Simone Young vor diesen Zugaben programmatisch zwei Fliegen mit einer sehr ausladenden Klappe zu schlagen beliebte: Seiner Ex-Schülerin gratulierte er mit dem als Freundschafts-Geschenk deklarierten Gastspiel in der Philharmoniker-Abo-Reihe zum 50. vor einigen Tagen - und dem 2011er-Jubilar Franz Liszt zum 200. Geburtstag.

Einen Taktstock hatte Barenboim allerdings nicht dabei, er beschränkte sich darauf, den ohne Wenn und Aber funkeln wollenden Klavier-Virtuosen zu geben. Zu schade, denn es wäre doch mal interessant gewesen, zu welchen Leistungssteigerungen über das Normalmaß die Philharmoniker unter einem solchen Gast-Maestro fähig sind.

Die beiden Liszt-Konzerte sollten es nun auf einen Schlag sein, umrahmt von der Orchesterversion des ersten "Mephisto-Walzers" und dem Steppenwolf-Tonpoem "Mazeppa". Die teuflisch gedachte Eröffnung (auch ein kleines Eigen-PR-Nachspiel zum Staatsopern-"Faust"?) war aber leider eher ein Fäustling, da Young es zu sehr genoss, die diabolischen Momente des Stücks zu verzuckern und man immer wieder an die Klavierversion des Dorfschenken-Tanzes erinnert wurde, die man schon so oft so anders gehört hat. Dafür machte sie diesen unverbindlichen Eindruck mit dem energischen Nachdruck wieder wett, den sie der sinfonischen Dichtung verpasste.

Kein ganz und gar unentbehrliches Repertoire so weit, bei allem Wohlwollen, aber gerade das spornte Barenboim offenkundig an, das Bestmögliche aus dem ziellos brillierenden Selbstzweck des ersten Liszt-Konzerts herauszuzaubern. Viel war es nicht, was da zwischen Klingeln, Posen und Irrlichtern für ihn zu holen war. Doch das war schlicht großartig gespielt, weil er gar nicht erst versuchte, dem schönen Schein substanzielleres Bewusstsein zu verordnen. Das Blattgold hielt, und das Es-Dur-Konzert hielt nach der Pause, was das in A-Dur an Zugriff, Einsicht und erfahrungsvollem Überblick versprochen hatte. Hier war Barenboims Anschlags-Kultur wie ausgetauscht, hier wurde nicht verzärtelt oder gesäuselt, es galt die konsequent in Vollklang umgesetzte Devise "Dezenz wäre Schwäche". Hätte er danach (am besten späten) Liszt solo gegeben - das Konzert hätte einen weiteren Höhepunkt erreichen können.

Wie große weite Musik-Welt geht und klingen kann, hatte Barenboim am vergangenen Freitag beim Gespräch mit Young und Generalintendant Christoph Lieben-Seutter sehr souverän unter Beweis gestellt. Im Kleinen Laeiszhallen-Saal parlierte er nach der Generalprobe unterhaltsam bis - wenn es das Thema verlangte - ernst und eindringlich über das, was man als Beobachter des großen Ganzen Zeitläufte nennt.

Auf das Diktaturen-Domino in Nordafrika angesprochen, berichtete der homo politicus Barenboim, wie sehr es ihn enttäusche, dass das offizielle Israel dazu bislang keine Meinung geäußert habe. Wenig später holte der Jetsetter zum globalen Rundgang durch beachtliche Konzertsäle aus und lobte neben den üblichen Prestige-Adressen auch ein neues Haus in Kolumbien, bei dem ein Kolumbianer die Akustik veredelt hatte. Lieben-Seutter, in dieser Stadt nach wie vor König ohne Neu-Land, saß staunend daneben, als sein Gast von Zuständen erzählte, auf die er hier noch wartet. Von Sälen, in denen man sich als Musiker sofort wohlfühlt, von Menschen, denen die Bedeutung von Kultur für ein Gemeinwesen zweifelsfrei klar ist.

Auf sein Berliner West-Eastern-Divan-Bauprojekt neben der Lindenoper angesprochen, feixte der 68 Jahre alte Staatskapellen-Chef auf Lebenszeit, wegen der 95 Jahre Nutzungsrecht habe er Wowereit schon versprochen: "Über die Verlängerung verhandle ich mit Ihrem Nachfolger." Einer klaren Antwort auf die Publikumsfrage nach einem Benefiz-Konzert für die Elbphilharmonie wich Barenboim virtuos aus: "Gern, aber nur, wenn noch genau so viel Geld fehle, wie ein Konzert von ihm nach Abzug aller Organisationskosten bringen würde." Lieben-Seutter revanchierte sich, indem er das Fragezeichen hinter seinem Eröffnungstermin im Herbst 2013 unangetastet ließ.

Den historischen Schlussstrich unter sein Gastspiel leistete Barenboim am Sonntag, kurz nach dem ersten seiner beiden Konzerte: Eintrag ins Goldene Buch der Philharmoniker im Brahms-Foyer. Den ersten Eintrag in den erstaunlich schmalen Band hatte immerhin Liszt gemacht, anno 1843. Daniel Barenboims Widmung ist da in bester Gesellschaft.

Das Konzert wird heute (20 Uhr) in der Laeiszhalle wiederholt. Infos: www.philharmoniker-hamburg.de