Wie in seiner Rolle als König: Colin Firth, der den Oscar für “The King's Speech“ erhielt, war immer schon am besten, wenn ihm die Worte fehlten.

Hamburg. Ein paar "Ähms" schlichen sich dann doch in seine Dankesrede, während Colin Firth auf der Bühne vor der versammelten Filmwelt und einem Millionenpublikum seinen Oscar als bester Hauptdarsteller in den Armen wog. "Ich habe Gefühle im Bauch, die androhen, sich in Tanzbewegungen zu äußern", sagte der Mann im Smoking mit der Euphorie eines festgefrorenen Pinguins. Doch Firth darf stammeln. Er soll und muss es sogar. Denn die besten Momente seiner Karriere hatte der Brite dann, wenn ihm die Worte fehlten.

Zur Perfektion trieb der 50-Jährige seine geschauspielerte Ausdrucksschwäche in dem nun vierfach Oscar-gekürten "The King's Speech" als stotternder König George VI.: Wenn dieser zu Beginn des Films als Prinz an das Mikrofon des Wembley-Stadions tritt, um zu seines Vaters Volk zu sprechen. Wenn dann die stockenden Konsonanten in der Arena und im Äther laut verstärkt nachhallen. Wenn Firth mit minimaler, aber effektiver Mimik um Würde und Stimme ringt, fühlt der Betrachter in wenigen Sekunden all die unterdrückten Emotionen, die mit der Sprache im Innern zurückbleiben.

Für die Rolle des gefühlsgehemmten Gentleman empfahl sich Firth bereits Mitte der 90er. In der sechsteiligen BBC-Adaption von Jane Austens "Stolz und Vorurteil" gibt es einen Moment, der sich gut und gern als Schlüsselstammelszene in Firth' Vita bezeichnen lässt. 300 Minuten lang gibt er den stets akkurat gekleideten, wohlhabenden Mr. Darcy, ein Ausbund an Selbstherrschung. Nach einem Ausritt lässt er einmal fünfe gerade sein und durchschwimmt in Hemd und Hose den Teich seines Anwesens. Als der durchnässte Darcy dann völlig überraschend auf seine Angebetete Elizabeth Bennet (Jennifer Ehle) trifft, zeigt sich Firth' stoffeliges Talent aufs Schönste. Verlegen erkundigt er sich mehrfach nach der Gesundheit der Familie, parliert überhöflich und geht schließlich, verzweifelnd an der eigenen Verklemmtheit, mit einer kurzen Verbeugung ab.

Die Locken stehen da noch voller und brauner am Kopf als Firth' grau melierte Wellen heute. Doch wie sich seine Brauen über den dunklen Augen fragend zusammenziehen, wie sich der strichgerade Mund immer schon leicht öffnet, als formuliere er die Silben, bevor sie zu hören sind: Das ist ganz Firth.

In England erlangte die Teich-Szene das, was gemeinhin gern Kultstatus genannt wird. Und sie ist einer der Gründe, warum das Vereinigte Königreich schon viel früher als die Vereinigten Staaten wusste, welch grandiosen Schauspieler das Dorf Grayshott im Süden Englands hervorgebracht hat.

Das Stottern und Stammeln, es verzögert die Zeit und birgt somit einen antiquierten Charme, der dem höfischen Zeremoniell, auch dem Umständlichen der britischen Kultur, viel eher entspricht als dem eloquenten, ehrgeizigen Glamour Hollywoods. Firth' Oscar ist, konsequent interpretiert, also auch ein Sieg der alten über die neue Welt.

Die Rolle des Mr. Darcy bedeutete für den Darsteller, der am Drama Centre in London lernte, den Durchbruch in der Heimat. Gefragt nach den Frauen in seinem Leben antwortete Firth, der seit 1997 mit Filmproduzentin Livia Giuggioli verheiratet ist: "Meine Mutter, meine Frau und Jane Austen."

Die britische Autorin Helen Fielding war so angetan von seiner hölzernen Leidenschaft in "Stolz und Vorurteil", dass sie ihn literarisch verewigte. Genauer gesagt: prosecco-literarisch. Ihr "Bridget Jones's Diary" lehnte die Autorin an Austens Klassiker an und nannte ihren Helden Mark Darcy. In der Fortsetzung "The Edge of Reason" schrieb sie gar ein komplettes Interview zwischen ihrer Protagonistin und Firth in die Story. Fiktion und Realität vermengen sich aufs Amüsanteste: Eigentlich will der Akteur seinen Film "Fever Pitch" promoten (als Fußballfan kann Firth übrigens sehr gut schreien). Doch die romantisch verklärte Bridget will nur über Firth' Lieblingsfarbe reden (Blau). Und über Mr. Darcy.

Ironie der Geschichte: In der Verfilmung der Tagebücher (den schlimmen deutschen Titel "Schokolade zum Frühstück" würde man am liebsten verschweigen) spielt Firth tatsächlich jenen emotionalen Grobmotoriker. Womit das Stammeln wieder ins Spiel kommt. Der galante Schönsprech ist seinem Widerpart Daniel Cleaver (Hugh Grant) vorbehalten. Firth gibt als Darcy den Jura-Streber im Rentierpulli. Und als solcher macht er der unglücklichen Bridget eine Liebeserklärung, die so verknotet herausgehaspelt wird, dass sie fast das Gegenteil erreicht: "Die Sache ist ... was ich versuche zu sagen ... sehr inartikuliert ... obwohl es einen anderen Anschein hat ... ich mag dich."

Lange Zeit schien es, als würde Firth der ewige Darcy bleiben, abonniert auf die Rolle des langsam erwachenden Liebeslegasthenikers. Doch dann überraschte er 2009 in Tom Fords Design-Film "A Single Man". Wie Firth da als schwuler Professor um seinen verstorbenen Partner trauert, wie er morgens im Bett aufwacht und stumm bleibt ob des Schmerzes: Da fehlen sie dann auch dem Zuschauer, die Worte.

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