Oscar-Preisträger Colin Firth über seine Bewunderung für Stotterer und die Angst vor der öffentlichen Rede

Hamburg. Es ist ein wenig so, als würde Colin Firth inzwischen Hof halten, wenn man sich mit ihm zum Interview trifft - lange her sind die Zeiten, als man den britischen Schauspieler für eine solide, aber nicht besonders aufregende Besetzung für Nebenrollen hielt. In der Nacht zu Montag hat der 50-Jährige nun den Oscar erhalten - für seine Rolle als stotternder König in "The King's Speech".

Hamburger Abendblatt:

Herr Firth, in "The King's Speech" spielen Sie zum dritten Mal in Ihrer Karriere einen Stotterer. Was war dieses Mal für Sie anders?

Colin Firth:

Keine der vorherigen Rollen hat mir so viel gegeben wie diese. Stottern muss eine enervierende Erfahrung sein. Stottern beeinflusst, wie du dich selbst siehst, wie du die Welt siehst, wie die anderen dich sehen. Bei Bertie, dem stotternden König, war es so schlimm, dass er sich weigerte, mit anderen Leuten zu sprechen. In den Unterlagen seines Sprachtherapeuten haben wir einen Brief von seinem Privatsekretär gefunden. "Sie müssen ihm helfen", hat er geschrieben. In Biografien wird der spätere König als furchtsam, extrem unsicher und dumm geschildert. Da kann man mal sehen, wie falsch die Leute ihn beurteilt haben. Ich habe mir Aufnahmen mit ihm angesehen, in denen man deutlich seine Würde spürt. Aus seinen Schriften und Gesprächsnotizen wissen wir auch, dass er nicht dumm war. Er hatte eine geistige Eleganz. Aber er konnte sich nicht ausdrücken, also kannte ihn auch fast niemand.

Was hat Ihnen Ihr Drehbuchautor David Seidler darüber erzählt, der in seiner Kindheit selbst gestottert hat?

Firth:

Es bestimmt den ganzen Tag. Er hat nur die Zeitung gekauft, deren Namen er aussprechen konnte. Im Restaurant konnte er nur Huhn bestellen, weil das Wort leichter für ihn war, auch wenn er lieber Rindfleisch gegessen hätte. Nicht in der Lage sein zu tun, was man möchte, muss erschreckend sein. Ich habe daher eine große Bewunderung für den Mut dieser Leute entwickelt. Denken Sie doch nur an die Kinder, die darunter leiden, die sich im Unterricht nicht melden, beim Spielen mit anderen Kindern stets daran erinnert und auch noch gehänselt werden. Einen Satz zu beenden ist für sie doch fast ein heroischer Akt. David hat gesagt, wenn man in einem Satz hängen bleibt, ist das, als sei man mit dem Kopf unter Wasser.

Sprechen Sie selbst gern bei öffentlichen Anlässen?

Firth:

Nein. Ein amerikanischer Dichter hat behauptet, die Angst, vor einer Menschenmenge eine Rede zu halten, übertreffe sogar noch die Angst vor dem Tod. Der amerikanische Comedian Jerry Seinfeld hat dazu gesagt: "Wenn das stimmt, würden bei einer Beerdigung die meisten Leute lieber im Sarg liegen, als Nachrufe zu halten."

Wie haben Sie bei "The King's Speech" den richtigen Ton gefunden?

Firth:

Wir haben viel geprobt, weil wir Angst hatten, den falschen Ton anzuschlagen. Jetzt, da der Film so erfolgreich ist, sieht es so aus, als sei das von vornherein so angelegt gewesen. Aber das war nicht so. Es lief mir kalt den Rücken herunter, als Regisseur Tom Hooper zu mir sagte: "Ich möchte, dass du in jedem Satz stotterst." Wir haben acht Wochen gedreht. Dabei hatten vorher viele Produzenten die Idee aus kommerziellen Gründen abgelehnt - zum Beispiel weil es keine jungen Leute im Film gibt, auch Helena Bonham Carter ist nicht gerade so aufgenommen, dass man ihre Schönheit betont. Sex und Action gibt es auch nicht. Wir haben nur attraktive ältere Leute. Und was sollten wir auf das Filmplakat schreiben? Zwei mittelalte Männer werden Freunde? Es war also riskant. Wir mussten die Emotionen und den Humor selbst finden. Wenn wir das falsch gemacht hätten, wäre "The King's Speech" ein sentimentaler, selbstmitleidiger Film geworden.

In den letzten beiden Rollen scheinen Sie über sich hinausgewachsen zu sein. Wie können Sie das erklären?

Firth:

Nur mit guten Rollen. Da können Sie mal sehen, wie abhängig wir vom Material sind. Man kann als Schauspieler zehn verschiedene Werkzeuge im Kasten haben, die Rollen verlangen aber oft nur zwei. In jüngster Zeit konnte ich erfreulicherweise ein paar mehr benutzen. Na ja. Wahrscheinlich werden Sie mich bald wieder in einer sehr enttäuschenden Rolle sehen.