Die rumänische Starballerina Alina Cojocaru spricht über ihren Unfall, ihre Liebe und die Arbeit an John Neumeiers “Sommernachtstraum“.

Hamburg. Alina Cojocaru, Starballerina im Royal Ballet London, übernimmt heute Abend in der Wiederaufnahme von John Neumeiers "Ein Sommernachtstraum" die Hippolyta und Titania. Die in Kiew ausgebildete Rumänin startete mit 19 Jahren als Erste Solistin beim Royal Ballet und wurde für klassische Partien in "Dornröschen", "La Sylphide" und "Schwanensee" ebenso gefeiert wie für ihren Auftritt in neoklassischen Stücken. Cojocaru tanzte Hippolyta/Titania bereits in der Kopenhagener Produktion des Neumeier-Balletts und gastierte auch in der Staatsoper: als "Giselle" bei der Nijinsky-Gala 2001 und nochmals 2004 mit ihrem Bühnen- und Lebenspartner Johan Kobborg in Ashtons "Frühlingsstimmenwalzer".

Hamburger Abendblatt:

Wie empfinden Sie das Arbeiten mit John Neumeier?

Cojocaru: Ich war zuerst nervös, weil ich nicht wusste, was mich erwartet. Aber als wir begonnen hatten, wollte ich nicht mehr aufhören. Es geht bei ihm immer darum, was ich von der Figur und ihrem Handeln in der Geschichte vermitteln soll. Das Schönste an der Arbeit ist, dass er es versteht, den Menschen aus dem Tänzer herauszuholen.

Was meinen Sie damit genau?

Cojocaru: Er hat mich daran erinnert, dass die Schritte nur der Anfang sind. Er vermittelt seinen Tänzern so viele Informationen und Geschichten und fordert unsere Gefühle heraus. Es geht immer um die Suche danach, das richtige Gefühl, die richtige Verbindung mit den anderen Tänzern zu finden, um die Geschichte lebendig zu machen. Denn wenn ein Ballett lebendig wird, erreicht es das Publikum und erschafft eine magische Welt, wie nur Ballett es kann.

Sie haben die Elfenkönigin Titania schon in Frederic Ahstons Choreografie "The Dream" getanzt. Was denken Sie über John Neumeiers Anlage dieser Figur?

Cojocaru: In Ashtons Version ist Titania nur eine Person. An Neumeiers Version finde ich großartig, dass die Doppelrolle es einer Tänzerin ermöglicht, zwei Seiten eines Frauencharakters zu zeigen. Die Amazonenkönigin heiratet Theseus, ist eine erwartungsvolle Braut mit all ihren Unsicherheiten und Wünschen. Sie möchte von ihm geliebt werden, obwohl sie enttäuscht und verletzt ist durch seine Reaktionen und das Desinteresse an dem, was sie ihm schenken möchte. In der Elfenwelt ist Titania ein sinnlicher und starker Charakter. Es herrscht ein ewiger Kampf zwischen ihr und Oberon.

Es geht Ihnen in der Rollengestaltung mehr um die Ehrlichkeit der Darstellung als um virtuose Technik, für die Sie bewundert und gefeiert werden?

Cojocaru: Technik ist sehr wichtig für uns. Ich arbeite täglich daran, besser zu werden. Aber was heißt schon besser? Höher springen, mehr Drehungen? Ja, aber es geht auch darum, etwas Frisches in jedes Ballett zu bringen. Wenn das Publikum kommt, um deine 110. Giselle zu sehen, sollte man danach nicht denken müssen, "wieder eine Giselle", sondern sich sagen können: "Es war etwas anderes heute." Wenn ich es schaffe, dass nur eine einzige Person im ganzen Publikum so denkt, bin ich glücklich.

Sieht man sich Ihr Repertoire an, finden sich hauptsächlich Übernahmen der klassischen Rollen von "Aurora" über "Cinderella" bis zu "Odette". Fehlen Ihnen nicht die Kreationen?

Cojocaru: Ja, die kamen in meiner Karriere bisher etwas zu kurz. Aber ich hatte das Glück, Johan Kobborg zu treffen und mit ihm zu arbeiten. Er ist meine bessere Hälfte. Von ihm habe ich etwas gelernt, das mich wirklich inspiriert hat: Finde immer eine Begründung für einen Schritt. Ein Schritt ist nicht einfach ein Schritt. Es gibt immer einen Grund dafür. Ob ich "Dornröschen" tanze oder ein neoklassisches Stück, ich frage mich nun immer, warum ich mich bewege und was ich ausdrücken will.

Wie wichtig ist es für Sie, mit einem festen Partner zu tanzen?

Cojocaru: Ich bin mit sehr guten Solisten auf der ganzen Welt aufgetreten, in letzter Zeit jedoch hauptsächlich mit Johan. Tanzt man öfter mit jemandem, schafft es ein bestimmtes Vertrauen, auch eine Freiheit und einen Raum für etwas Neues. Obwohl wir so oft zusammen arbeiten, schafft es Johan immer wieder, mich zu überraschen. Versuche ich ihm auf der Bühne früher zu entwischen, gelingt es ihm, mich doch immer zu fangen. Ein wunderbares Gefühl. Aber es ist auch schön, einander zu entdecken, wie jetzt in der Arbeit mit meinem Oberon Thiago Bordin. Es ist ein ebenso interessanter wie faszinierender Prozess, Partnerschaft aufzubauen und voneinander zu lernen. Ich entdecke etwas Neues in mir, indem ich auf das reagiere, was er macht.

Sie hatten einen Unfall und mussten wegen einer ernsthaften Rückenverletzung ein Jahr lang pausieren. Haben Sie Angst, es könnte wieder passieren?

Cojocaru: Nein, ich denke nicht mehr daran, jetzt ist alles wieder gut. Aber die Zeit nach der Verletzung war in der Tat schwierig. Ich habe viel über meine eigenen Grenzen gelernt. Man arbeitet oft zu viel und sollte mehr auf seinen Körper hören. Das Problem ist, dass ich im Arbeitseifer im Studio gar nicht merke, dass ich mich überanstrenge. Wenn ich dann aufhöre und mich hinsetze, spüre ich erst, wie müde ich bin. Jetzt achte ich mehr auf regelmäßige Pausen.

Hat die Unterbrechung Ihre Sicht auf den Beruf oder das Tanzen verändert?

Cojocaru: Ich hatte nie mehr als eine Woche aufgehört zu tanzen, in den Ferien oder so. Plötzlich wachte ich auf, hatte kein Training, keinen Terminkalender und keine Arbeit mehr. Ich war zuerst total verloren. Eine verblüffende Erfahrung war, dass ich erkannte, was ich mir früher hätte gar nicht vorstellen konnte: Das Leben und die Welt sind viel größer als der Tanz. Und die größte Entdeckung war: Ich mag Alina, auch wenn sie keine Ballerina mehr ist. Ich habe noch einen großen, schönen Teil meiner Karriere vor mir und arbeite nun viel mehr für mich selbst und versuche, alle Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Wenn es etwas gibt, was ich aufregend finde, macht es mir nichts aus, dafür hart zu arbeiten, auch wenn die Verwirklichung schwierig ist.

Haben Sie einmal darüber nachgedacht, was Sie nach dem Ende Ihrer Tanzkarriere machen wollen?

Cojocaru: Nein, ich habe noch keine festen Pläne, die Welt ist offen für viele Dinge, die ich tun kann. Aber ich weiß, wofür auch immer ich mich entscheiden sollte: Wenn ich mit Verstand und hundert Prozent Energie dabei bin, wird etwas Gutes daraus werden. Und eine Familie wäre auch schön.

Ein Sommernachtstraum, heute (ausverkauft), weitere Aufführungen: 3.3., 4.3., 8.3., 9.5., 17.5., 19.5., 2.7. (je 19.30), Staatsoper, Eintritt: 4,- bis 79,-