Der Cellist Jean Guihen Queyras kriecht nahezu in die Musik hinein, die er spielt. Heute und Sonntag darf man ihm dabei zuhören.

Laeiszhalle. Es gibt sie noch, die guten alten Vorurteile, etwa dieses: Klassikmusiker seien introvertiert, weltfern und der Sprache abhold. Den Gegenbeweis tritt der frankokanadische Cellist Jean Guihen Queyras an, derzeit Artist in Residence beim Ensemble Resonanz. Ausgeruht, fröhlich und präsent wirkt er, was einigermaßen erstaunlich ist, immerhin liegt ein kompletter Probentag für das Konzert am Sonntag hinter ihm, garniert durch Auftritte in der einstündigen NDR-Livesendung "Klassik à la carte" und beim Elbphilharmonie-Kulturgespräch. Doch im Gespräch spielt der schmale 43-Jährige jeden Ball sofort zurück - in fast perfektem Deutsch und jenem untrüglichen Tonfall, den kein Franzose je ablegen kann.

Weltläufig ist Queyras nicht nur, was seine Biografie und seine Auftritte rund um den Globus angeht. "Ich brauche das, in die Welt eines Komponisten einzutauchen - ich bin ein Chamäleon", sagt er und lacht. "Interpreten sind Voyeure!" Und Queyras ganz besonders. Ob er Barockmusik spielt oder ein Werk zur Uraufführung bringt, stets versucht er, in die Haut des Komponisten zu schlüpfen: "Ich lerne von den Spezialisten." Das kann das Freiburger Barockorchester sein, mit dem Queyras eine hinreißende Platte mit Haydn-Cellokonzerten eingespielt hat, oder das Pariser Ensemble Intercontemporain.

Dieser Speerspitze der zeitgenössischen Musik hat Queyras zehn Jahre angehört, noch unter dem legendären Pierre Boulez. "Die Arbeit war sehr wichtig für mich", erzählt Queyras. "In der täglichen Auseinandersetzung mit Neuer Musik habe ich gelernt, ohne den ganzen Traditionsballast auf ein Stück zu gucken. Wenn ich ein Stück erarbeite, zählen nur die Noten, der Komponist hinter dem Papier und ich."

Von dieser Frische des Zugriffs profitiert auch die Arbeit mit dem Ensemble Resonanz. Für zwei Jahre haben sich die Musiker zusammengetan, und wer sie schon gehört hat, der hat einen Begriff von musikalischer Brüderschaft im Geiste. "Die langfristige Arbeit ist für mich auch eine Herausforderung", sagt Queyras. "Es kommen ganz andere Dynamiken zum Vorschein, als wenn man mal ein Projekt zusammen macht und dann wieder seiner Wege geht." Schließlich hat er es bei dem Ensemble mit einer bemerkenswerten Ansammlung fähiger und eigenwilliger Künstler zu tun; viele der hochspannenden Programme verdanken sich Anregungen des Geigers Tom Glöckner, auch das vom Sonntag. Quer durch die Jahrhunderte spürt es den Beziehungen zwischen Haydn, Ligeti, Lutoslawski und Bartók nach - getreu der Überschrift "Ramifications", zu Deutsch "Verzweigungen". Und heute Abend gibt es schon mal eine "Hörprobe".

Ramifications Hörprobe: heute, 18.00, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz, Studio E, Eintritt frei; Konzert So 27.2., 20.00, Laeiszhalle, Karten (5,- bis 39,-): T. 35 76 66 66. "Lauschangriff" mit Schülern des Gymnasiums Blankenese: 19 Uhr, Studio E; www.ensembleresonanz.com