Der Fall des Verteidigungsministers zu Guttenberg erinnert an Figuren in Literatur und Film, die mehr sein wollten, als sie waren.

Die Literatur ist schon recht früh zitiert worden in der gegenwärtigen Plagiatsdebatte. Der Copy-and-Paste -Minister Karl-Theodor zu Guttenberg erinnere an den Hochstapler Felix Krull, die Romangestalt Thomas Manns, sagten einige Kommentatoren. Krull, dessen fiktive Memoiren zum Genre des Schelmenromans gehören, verschafft sich im Laufe der Handlung eine andere Identität. Er wird zum Marquis de Venosta und tritt unter dessen Name eine Weltreise an. Zugute kommen ihm dabei seine schauspielerischen Fähigkeiten: Er täuscht seine Umwelt über sein eigentliches Wesen.

Dass Guttenberg ein Täuscher ist, ein Dieb, das leugnet niemand ernstlich. Und seine große Fan-Gemeinde hält dies für eine lässliche Sünde, sie feiert ihn geradezu. Aber sie mag ihn aus ganz anderen Gründen als jenen, wegen denen Leser und Kinobesucher für die Figur des Hochstaplers in der Kunst eingenommen werden. Guttenbergs Hochstapelei wird geflissentlich, ja auf beinah aggressive und trotzige Weise übersehen. Bei Felix Krull und Frank William Abagnale jr., dem Helden in Steven Spielbergs Film "Catch Me If You Can", verhält es sich anders. Sie werden geliebt, gerade weil sie mit Hochstapeleien und Lügengebäuden operieren.

Das liegt auch daran, dass sie, wie das in der Roman- oder Filmerzählung eigentlich immer so ist, ein Motiv haben, das überzeugend ist. Guttenbergs Motive verlieren sich im Bereich der Spekulation und der psychologischen Deutung. Aber bei ihm, der Figur aus der Wirklichkeit, bekommt die Lebensgeschichte gerade durch den gegenwärtigen Skandal durchaus romanhafte Züge. Was die Frage aufwirft, ob im Fall Guttenberg denn auch jemand die narrativen Zügel in der Hand hält. Wenn er "gewinnt", ist Guttenberg das selbst; sollte er doch noch zurücktreten müssen, werden die Erzähler die sein, die ihn zu Fall bringen. Seine Sympathiewerte dürften selbst darunter nicht unbedingt leiden, obgleich das Heer der Guttenberg-Allergiker bei allem, was über ihn weiterhin gedacht und geschrieben wird, durchaus noch den einen oder anderen rekrutieren könnte.

Den Helden in der Kunst schlägt dagegen ungeteilt Wohlwollen entgegen: Sie sind Hochstapler aus gutem Grund. So ist es doch im Fall von Steven Spielbergs "Catch Me If You Can" vor allem der familiäre Hintergrund des Betrügers Frank Abagnale jr., der uns mit ihm sympathisieren lässt: die gescheiterte Existenz aus der bürgerlichen Mitte als Identifikationsfigur. Da ist der Vater, der sich abrackert und versucht, ein anständiges Vorbild zu sein. Und die kapriziöse Mutter, die sich von ihm trennt. Dazwischen steht der Sohn Frank, gespielt von Leonardo DiCaprio, der sich nichts mehr wünscht, als seinem Vater einen Lebensstil zu ermöglichen, mit dem er die Mutter zurückerobern kann. So wird sein Motiv, das Abagnale auch im wahren Leben Ende der 60er-Jahre mehrere Millionen Dollar ergaunern lässt, zu einem nachvollziehbaren, ja schon fast zu einem ehrbaren. Auch er täuscht, gibt sich als Arzt aus, als Rechtsanwalt und Pilot. Jedoch nie um des Titels willen, sondern allein, um mit all dem Geld seine zerbrochene Familie retten zu können. "Die Leute wissen immer nur, was sie gesagt bekommen", sagt Abagnale an einer Stelle des Films und hält der Gesellschaft, die sich nur allzu gern von ihm blenden lässt, einen Spiegel vor.

Auch in Carl Zuckmayers "Der Hauptmann von Köpenick" ist es das Schicksal des Kriminellen, das uns letztlich mit dem Hochstapler mitfühlen lässt. Heinz Rühmann spielt in der Literaturverfilmung von 1956 den ehemaligen Gefängnisinsassen Wilhelm Voigt, der seinen Weg zurück ins bürgerliche Leben sucht, dem die Gesellschaft jedoch keine Chance gewähren will. Man hat Mitleid mit dem Gescheiterten, der sich vornimmt, ein ehrlicher Mensch zu sein, jedoch keine Chance im Leben bekommt - bis er sich als Offizier ausgibt. Dass dieses Motiv der Suche nach Anerkennung, nach Liebe oder nach Familie uns sogar mit einem Hochstapler sympathisieren lässt, der zum Mörder wird, zeigt die Verfilmung des Romans "Der talentierte Mr. Ripley" von Patricia Highsmith. Der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Tom Ripley, gespielt von Matt Damon, geht in seinem mörderischen Spiel so clever vor, dass man sich einer Bewunderung kaum verweigern kann.

Und die literarische Figur Felix Krull? Sie ist keineswegs ein Anti-Held, obwohl gerade ihr gesellschaftlicher Ehrgeiz gewisse Ähnlichkeiten mit Guttenbergs streberhaftem Auftreten hat. Wer wollte, zitierte in den vergangenen Tagen einige Sätze aus "Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull": Der lebt mit der Gewissheit, "aus feinerem Holz geschnitzt zu sein" als seine Umgebung, und erinnert in dieser Arroganz manche an den etwas anderen Politiker, als der sich Guttenberg so gerne geriert.

Dabei ist Krull jemand, der aus gänzlich anderen Verhältnissen stammt. Sein Dazugehörenwollen, sein Narzissmus, bezieht sich auf eine Welt, die für ihn doch eigentlich unerreichbar ist: die Aristokratie. Allerdings findet man eine etwas beunruhigende Analogie, wenn man Krulls Tendenz zur Mimikry etwa mit Guttenbergs Auffassung von Wissenschaftlichkeit vergleicht. Krull ist ein Künstler in dem, was er tut, sein Eintritt in verschiedene Sphären hat etwas Spielerisches - er imitiert und geht nicht immer ganz in seiner Rolle auf. In etwa so könnte man mit einigem Recht auch das ganze Phänomen Guttenberg beschreiben: ein Mann, der sich noch bis vor Kurzem gleichsam tänzelnd auf sämtlichen Parketts bewegte, der in Gesellschaft, Politik und (scheinbar) Wissenschaft reüssierte.

Krull nimmt am Ende die großartige Möglichkeit nicht wahr, in die Welt des symbolischen Kapitals aufzusteigen: Als ihn Lord Kilmarnock adoptieren will (das würde ihn zum Erben machen), lehnt Krull die Offerte ab.

Da ist er dann wieder, dieser Moment in der Literatur, der den Hochstapler sympathisch macht. Auch der gescheiterte Hochstapler Guttenberg hat noch Hoffnung. Denn wie legte es Thomas Mann seinem Krull in den Mund? "Eine der hoffnungsreichsten Lebenslagen ist die, wenn es uns so schlecht geht, dass es uns nicht mehr schlechter gehen kann."