Filme über die RAF werden auf der Berlinale immer gerne gesehen und haben eine lange Tradition. Dieser behandelt die Vorgeschichte.

Berlin. Die Katze hat die Nachtigallen gefressen. Damit das nicht noch mal vorkommt, nimmt der Vater das Gewehr und schießt die Katze tot. "Katzen", erklärt er seinem kleinen Sohn, der erschreckt die Augen aufreißt, "gehören nicht zu uns. Sie stammen aus dem Orient, sie sind die Juden unter den Tieren." Was so anfängt, kann nicht gut enden.

Mit der Katzen-Szene eröffnet Andres Veiel sein Spielfilmdebüt "Wer, wenn nicht wir", in dem es um Gudrun Ensslin und Bernward Vesper geht, die so lange ein Paar waren, bis Andreas Baader auftauchte. Veiel erzählt gewissermaßen die Vorgeschichte der RAF, er leuchtet die Zeit aus, in der Ensslin und Vesper ihre "muffigen Elternhäuser" verließen, "um sich neu zu erfinden". Tatsächlich gibt es einen solchen Film bislang nicht, sieht man davon ab, dass Margarethe von Trotta das Thema in ihrem Film "Die bleierne Zeit" 1981 gestreift hat.

Tatsächlich möchte man in diesen muffigen Elternhäusern, die Veiel vorführt, beim besten Willen nicht gelebt haben. Vespers Vater (Thomas Thieme) ist, wie sich herausstellt, nicht nur eine Art Großschriftsteller des Dritten Reichs gewesen, der kräftig den Führer besungen hat, sondern dieser Will Vesper erlegt seinem Sohn quasi auf dem Sterbebett noch auf, dafür zu sorgen, dass seine Blut-und-Boden-Schriften neu veröffentlicht werden. Und die Mutter ruft Bernward irgendwann böse hinterher: "Ohne den Führer hätte es dich doch gar nicht gegeben! Dein Vater wollte keine Kinder - der Führer hat sich Nachwuchs gewünscht!" Die viel bewunderte Imogen Kogge muss sich an dieser holzschnittartig angelegten Figur verbrauchen, und Susanne Lothar, die die Rolle von Ensslins Mutter spielt, geht es nicht besser. Gar nicht zu reden vom spießigen Ambiente, das noch schlimmer ist als die Bühnenräume, die Anna Viebrock für die Inszenierungen von Christoph Marthaler zu entwerfen pflegt. Obwohl man das vorher nicht für möglich gehalten hätte.

Satte zwei Stunden dauert Veiels Film. Befördert er die Erkenntnis? Oder wenigstens das Verständnis? Am Ende steht der Zuschauer vor allem unter dem Eindruck, dass es bei Ensslin (Lena Lauzemis) und Vesper (August Diehl) - im Gegensatz zu Baader (Alexander Fehling) - mit der sexuellen Revolution nicht geklappt hat. Dass Vesper Ensslin dauernd betrogen hat und dass sie sich deshalb mit Baader einließ, von dem sie sich offenbar sogar schlagen ließ. Aber ist das in dieser epischen Breite interessant? Eher nicht. Schwerer wiegt, dass Veiel Dokumentarszenen braucht, um die politische Entwicklung Ensslins nachvollziehbar zu machen. Also streut er mal einen Atomversuch ein und mal Eichmann in Jerusalem. Zeigt er Bilder von der Kubakrise, von Vietnam und vom Berliner Schah-Besuch, der Benno Ohnesorg das Leben kostete. Es gab damals Grund genug, zornig zu werden, soll das heißen.

RAF-Filme haben auf der Berlinale eine lange Aufführungstradition. Das begann mit Reinhard Hauffs "Stammheim"-Film, der 1986 einen Skandal auslöste. Damals gab es Morddrohungen gegen die Jury, die Hauff nach dem Motto "Jetzt erst recht" den Goldenen Bären zuerkannte. Komplett war der Skandal, als Jury-Präsidentin Gina Lollobrigida während der Preisverleihung verkündete, sie könne dieses Votum nicht mittragen. 2000 war Volker Schlöndorffs RAF-Film "Die Stille nach dem Schuss" in den Wettbewerb aufgenommen worden. Ein Stück über Inge Viett, die sich bis heute nicht von den Verbrechen der RAF distanziert hat. Die Hauptdarstellerinnen Bibiana Beglau und Nadja Uhl wurden damals ex aequo mit dem Silbernen Bären geehrt. Und dann kam 2002 noch Christopher Roths "Baader"-Film. Auch Andres Veiel hat sich schon einmal mit der RAF beschäftigt. In seiner Dokumentation "Black Box BRD", in der der Stuttgarter die Biografien des von der Roten Armee Fraktion ermordeten Deutsche-Bank-Vorstandssprechers Alfred Herrhausen und des RAF-Terroristen Wolfgang Grams anhand von Zeitzeugenaussagen nachzeichnete. Für "Black Box BRD" wurde Veiel mit Preisen überschüttet. Dafür gab es den Europäischen Filmpreis 2001, den Deutschen Filmpreis, den Bayerischen und den Hessischen Filmpreis.

Der 51-Jährige hat gestern erklärt, es gehe in seinem Film nicht nur um die Vergangenheit, sondern durchaus auch um die Gegenwart. Die nächste Finanzblase werde schon kommen, und mit Blick auf Stuttgart 21 frage man sich doch auch, wann eine scheinbar saturierte Gesellschaft kippe. Beim Drehen sei es ihm deshalb darum gegangen, "Raum für neue Fragen zu öffnen" beziehungsweise dem Zuschauer "Raum für den eigenen Film" zu geben.

"Wer, wenn nicht wir" endet damit, dass der arme Vesper durchdreht und seine Möbel aus dem Fenster wirft. Und offenbar auch ein paar von seinen Küchenutensilien. Denn kurz danach sieht man ihn nackt durch den Hinterhof rennen und dazu einen Schneebesen über dem Kopf schwingen. Also, bei aller Liebe - das wäre unsereins von selbst nie und nimmer eingefallen. So viel Raum hat nicht mal der wohlmeinendste Kritiker in seinem Kopf!

Trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass die Jury diesem Film irgendeinen Preis verleihen wird. Weil Filme über die RAF auf der Berlinale immer gut ankommen.