Zwei russische Filme mischen die Berlinale auf: “An einem Samstag“ von Alexander Mindadze und “Khodorkovsky“ von Cyril Tuschi .

Berlin. Gestern war russischer Tag auf der Berlinale. Im Wettbewerb lief Alexander Mindadzes "An einem Samstag", ein Film über die Tschernobyl-Katastrophe, die bis heute Fragen aufwirft. Etwa die, warum die Menschen, die damals im Reaktor gearbeitet haben oder den glühenden Atommeiler jenseits des Flusses zumindest vor Augen hatten, damals nicht sofort aus der Stadt geflohen sind. "Warum sie die ,Titanic' nicht verließen", wie es der Regisseur gestern formulierte. Offen gesagt, fragt sich der Zuschauer das am Ende des Films immer noch. Weil's gerade Wochenend und Sonnenschein gab? Oder weil die Leute tatsächlich geglaubt haben, dass sie sich mit Rotwein dekontaminieren und das Strontium loswerden könnten? Das ist jedenfalls das, was Mindadze insinuiert.

"An einem Samstag" ist ein Film, der im Zuschauer ungemütliche Ängste freisetzt. Weil er es für möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich hält, dass ihm die Kernkraftwerkbetreiber in seiner Umgebung dieselbe "große Lüge" vorsetzen könnten, die die Evakuierung Tschernobyls damals um 36 Stunden verzögerte. Die Russen und die Ukrainer hätten "eine genetische Verbindung" zum 26. April 1986, hat Mindadze gestern auf der Pressekonferenz gesagt. Nun, der Zuschauer hat sie auch. Die genetische Verbindung ist Angst.

Den damaligen Super-GAU hat Moskau allerdings lange ad acta gelegt. Nach dem Motto: Das war zu Sowjetzeiten - und damals trug der Genosse Gorbatschow die Verantwortung. Inzwischen sitzt Wladimir Putin im Kreml, und der fühlt sich offenbar dadurch provoziert, dass die Berlinale Cyril Tuschis Dokumentarfilm "Khodorkovsky" ins Programm der Panorama-Reihe aufgenommen hat. Mit dem ganzen Selbstbewusstsein eines Filmfestivals, das sich im Gegensatz zu den Konkurrenzunternehmen in Cannes und Venedig schon immer als politisch verstanden hat. Man erinnere sich nur daran, dass die Berliner Filmfestspiele 1970 abgebrochen wurden, nachdem der Amerikaner George Stevens als Jury-Präsident versucht hatte, Michael Verhoevens Vietnam-Film "o.k." aus dem Wettbewerb zu entfernen. Oder an das Jahr 1994, in dem Jim Sheridans grandioser Justizskandal-Thriller "Im Namen des Vaters" mit dem Goldenen Bären dekoriert wurde, obwohl die Leute von Premier John Major den Film bereits während der Dreharbeiten als "IRA"-Machwerk diffamiert hatten.

+++ Das Dossier zur Berlinale: +++

Filme, Stars und roter Teppich - Die Berlinale 2011

Michail Borissowitsch Chodorkowski ist bekanntlich der Mann, den Putin vor acht Jahren hinter Gitter bringen ließ. Immer neue Anklagen sorgen seitdem dafür, dass der einstige Öl-Tycoon dem Kreml-Chef nicht gefährlich werden kann. Im Falle des Films wählten Putins Handlanger eine andere Strategie. Sie verwüsteten sieben Tage vor Berlinale-Beginn Tuschis Produktionsräume in Berlin - der 42-Jährige stammt aus Frankfurt am Main, hat aber russische Vorfahren - und stahlen die PCs und Laptops, auf denen die Endfassung des Films gespeichert war. Es war nicht der erste Versuch, die Aufführung von "Khodorkovsky" zu sabotieren: Bereits Anfang Januar hatte man Tuschi ein Laptop und zwei Festplatten aus einem Hotelzimmer gestohlen.

Der Regisseur zeigte sich von diesen Vorgängen beeindruckt. "Wenn jemand vorhatte, mir Angst einzujagen", sagte er, "ist das gelungen." Zu seiner Sicherheit zog Tuschi zu Freunden. Zu seinem Glück hatte er den Film bereits der Berlinale übergeben - allerdings in einer Fassung ohne deutsche Untertitel. Der Coup von Tuschis Film ist, dass es ihm gelang, Chodorkowski während einer Verhandlungspause kurz vor die Kamera zu ziehen. Einen Mann, der ungebrochen wirkt. Unter anderem kommt in dem fesselnden Filmporträt der ehemalige deutsche Außenminister zu Wort. Joschka Fischer erinnert sich, wie vergnügt Putin während seines Deutschlandbesuchs Ende 2004 die bevorstehende Zerschlagung von Chodorkowskis Yukos-Konzern thematisierte.

Vier Abendblatt-Redakteure berichten live von der Berlinale im Festivalblog