Der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Gerhard Lampe, 60

Hamburger Abendblatt:

1. Mit Wim Wenders hat jetzt erstmals auch ein Arthouse-Regisseur einen 3-D-Film, die Tanz-Dokumentation "Pina", gedreht. Bedeutet das den endgültigen Durchbruch dieser Technik?

Prof. Dr. Gerhard Lampe:

Das ist schwer zu beurteilen, doch auf jeden Fall ist "Pina" ein Meilenstein, weil die neue Technik nun auch neue Inhalte findet. Übrigens ist Wim Wenders nicht der einzige Arthouse-Regisseur, der in 3-D gedreht hat. Auch Werner Herzog geht mit seiner Doku über die Höhlenmalerin von Chauvet diesen Weg.

2. Warum sind 3-D-Filme, die viele Kinobetreiber im vergangenen Jahr vor dem finanziellen Absturz bewahrt haben, so erfolgreich?

Lampe:

Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe. Zum einen ist es der Reiz des Neuen, gefördert durch Werbemaßnahmen der Verleiher. Darüber hinaus sorgen die neuen Bilder beim Zuschauer aber auch für regelrechte Überschwemmungsgefühle. Oder, um es anders zu sagen: Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.

3. Der Siegeszug der neuen Technik ist in der Tat beeindruckend. Wird es in Zukunft nur noch 3-D-Filme geben?

Lampe:

Keinesfalls. Im Bereich von Tanz-, Theater- oder Konzertfilmen dürfte sich 3-D wohl durchsetzen, doch viele Filme brauchen den 3-D-Effekt überhaupt nicht. Außerdem ist 3-D in der Herstellung sehr viel teurer und zeitaufwendiger, was den Einsatz für viele Projekte von vornherein ausschließt. Nicht umsonst wird 3-D von manchen Experten als "Dauert, dauert, dauert" übersetzt.

4. Öffnen sich nach Ihrer Ansicht durch die neue Technik auch inhaltlich neue Welten?

Lampe:

Ganz sicher. Derzeit fallen 3-D-Filme vielfach noch durch "Jahrmarkt-Effekte" auf, das heißt, ein Gegenstand oder eine Handlung wird extrem weit nach vorn oder hinten gelegt. Wenders macht das in "Pina" anders, wie jetzt auf der Berlinale zu sehen war, indem er die neue Technik nutzt, um Parallelhandlungen in Szene zu setzen. Das stärkt die Autonomie des Zuschauers, der selbst entscheiden kann, auf welche Handlungsebene er sich konzentriert.

5. Werden wir künftig Filme erleben, bei denen zusätzlich der Geruchs- oder Geschmackssinn angesprochen wird?

Lampe:

Gott behüte! So etwas gab es ja schon von den Riechkärtchen zu John Waters' "Polyester" bis zu den Rütteleffekten beim US-Katastrophenfilm "Erdbeben", aber es hat das Kino nicht nach vorne gebracht. Wichtig ist, dass für den Zuschauer Raum bleibt, um die Bilder selbst zu ergänzen. Je vollständiger das Kinoerlebnis, desto langweiliger ist es letztlich.